Was Briten aus der Region zum Brexit sagen

Trier · Brexit – und jetzt? Der TV hat sich unter Briten umgehört, die in Trier und Umgebung leben. Sie befürchten vor allem gravierende Folgen für die Jugend.

 Bob Drysdale ist Lehrer in Schottland - und fährt in den Urlaub nach Konz. Vor den Folgen des Brexit fürchtet er sich.

Bob Drysdale ist Lehrer in Schottland - und fährt in den Urlaub nach Konz. Vor den Folgen des Brexit fürchtet er sich.

Foto: TV-Foto: Christian Kremer

Ursula Woodhouse ist Deutsche, aber verheiratet mit einem Briten. Sie lebt seit 16 Jahren in Konz: "Die britische Innenpolitik der letzten Jahre hat dazu geführt, dass breite Teile der Bevölkerung verarmt sind. Sie haben nun ihre Wut an der EU ausgelassen. Es gab genug Statistiken und Informationen, aber viele haben aus dem Bauch heraus gestimmt. Das Vereinigte Königreich ist eine geteilte Nation und es wird schwierig werden, die Lager zu vereinen. Freitag war ein trauriger Tag."

Michael Banks stammt aus London. Seit 2007 lebt er in Deutschland, seit 2008 in Trier: "Ich bin zutiefst enttäuscht über die Entscheidung Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen. Ich halte es für die falsche Entscheidung, weil es die internationale Kooperation nur schwieriger machen wird, besonders in Sachen wie die gemeinsame, globale Überwindung des Klimawandels in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Außerdem wird es möglicherweise auch die Zukunft der restlichen EU gefährden."

Karen Blunt stammt aus Nottingham, East Midlands, in Großbritannien. Sie ist verheiratet und lebt sei zweieinhalb Jahren in Trier. "Ich habe für einen Verbleib in der EU gestimmt, weil ich es als besten Weg für das Land gesehen habe. Ich glaube nach wie vor an Demokratie, aber auch daran, würdevoll mit Niederlagen umgehen zu können. Wir haben ein Resultat. Jetzt ist es an der Zeit, damit umzugehen und uns vorwärts zu bewegen. Die Entscheidung ist kein Schlaraffenland, aber auch keine Apokalypse. Sie ist, was wir daraus machen."

Donna Boddenberg aus Sheffield (South Yorkshire). Sie lebt seit 16 Jahren in Deutschland, seit 2012 in Trier: "Ich durfte nicht abstimmen, weil ich seit 16 Jahren in Deutschland nehmen. Hätte ich wählen dürfen, ich hätte mich für den Verbleib in der EU entschieden. Ich überlege nun, meinen britischen Pass abzugeben und eine niederländische Staatsbürgerschaft zu beantragen, wie mein holländischer Mann und meine zwei Kinder sie bereits haben. Wer weiß, was die Zukunft sonst für mich bringt, wenn ich in Europa lebe und über den Kontinent reise mit meinem Mann und den Kids."

Michelle Schmitt-Garbett stammt aus London. Sie lebt seit neun Jahren in Trier, ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder: "Es scheint, als hätten die Menschen nicht begriffen, was die Entscheidung bewirkt. Es wird den United Kingdom keine Magie verleihen, nach dem Motto, "So war es früher". Die Welt hat sich verändert. Technologie, Migration, Bewegung, Wirtschaft, Länder, die sich brauchen - diese komplexen modernen Beziehungen der Länder vereint die EU. Es ist tragisch, dass viele junge Menschen kein Mitspracherecht bei der Entscheidung hatten, obwohl sie und ihre Zukunft betroffen sind."

Bob Drysdale ist Schotte und fährt regelmäßig in den Urlaub nach Konz. Welche Folgen der Brexit für sein Land hat, schreibt er dem TV in einer ausführlichen Mail: Als ich am Donnerstag kurz vor Mitternacht die ersten Ergebnisse der Volksabstimmung hörte, war ich schockiert und ging ziemlich pessimistisch ins Bett. Am nächsten Morgen war es klar: das Vereinigte Königreich sollte die EU verlassen. Vor zwei Jahren hat es in Schottland schon eine Volksabstimmung gegeben - sollte Schottland das Vereinigte Königreich verlassen oder nicht? Ich war dagegen. Schottland sollte im Vereinigten Königreich bleiben und seine Rolle in der Europäischen Union spielen. Jetzt müssen wir aus der EU austreten, und ich finde mich heute derart deprimiert darüber. Das Vereinigte Königreich? Schon der Name ist heute ein Witz. Die Londoner wollen in der EU bleiben. Die Nordiren auch. Und in Schottland? 62 Prozent der Wähler haben für die EU gestimmt, in Edinburgh sogar fast 75 Prozent. Alle politischen Parteien in Schottland haben sich leidenschaftlich gegen einen Brexit erklärt und das war auch der Wunsch der Mehrheit in Schottland; trotzdem sollen wir die EU nun verlassen. Dieses Königreich ist tatsächlich ein gespaltenes Land.

Wir Schotten haben immer stärkere Beziehungen zu Europa gehabt als die Engländer. Wir sind ein offenes Volk und begrüßen unsere europäischen Freunde, die in unserem Land leben und arbeiten möchten. In Schottland hat man den Eindruck, dass unsere Politiker ihre Wähler besser verstehen als in anderen Teilen des Landes. Zu oft während der Kampagne mussten wir hören, wie die Engländer sich gegen die Einwanderer ausgesprochen haben - "die nehmen uns die Arbeit weg", "unsere Schulen sind übervoll mit Leuten, die wenig Englisch sprechen", "die sind nur hier, um sich in unseren Krankenhäusern umsonst behandeln zu lassen." Was man nicht gehört hat - "ohne diese Einwanderer hätten wir nicht genug Krankenschwestern/ Zahnärzte/Hotelarbeiter usw." Oder "Es ist gut, dass sie hier sind, weil sie oft die Jobs machen, die wir selber nicht machen wollen."

Als Konrektor einer schottischen Gesamtschule freue ich mich immer, wenn eine Schülerin oder ein Schüler mir erklärt; "ich will dieses oder jenes Fach studieren, weil ich dann ein Jahr in Deutschland/Frankreich/Spanien verbringen kann." Auf einmal muss man sich jetzt fragen, ob das in ein paar Jahren noch möglich wird. Neulich habe ich mich mit drei ehemaligen Schülerinnen unterhalten - die erste verbringt den Sommer in Spanien, die zweite arbeitet den ganzen Sommer lang in Italien, die dritte geht zuerst nach Frankreich und will dann anschließend in Portugal arbeiten. Unsere Schule befindet sich in einer kleinen Stadt an der Nordostküste des Landes - in größeren Städten Schottlands werden es viel mehr junge Leute geben, die solche Pläne haben. Wird das nach dem Austritt noch möglich sein? Nach Donnerstag was sind die Auswirkungen auf unsere jungen Leute?

Die Schotten haben schon lange Beziehungen zu anderen europäischen Völkern gehabt. Ausgerechnet in Schottland gibt es viele Partnerschaften mit deutschen Städten (allerdings überwiegend mit Bayern) — Edinburgh-München, Glasgow-Nürnberg, Aberdeen-Regensburg, Dundee-Würzburg, Inverness-Augsburg und auch zwischen kleineren Städten — z.B. Lossiemouth-Hersbruck, Elgin-Landshut, Forres-Vienenburg. Es gibt aber auch enge persönliche Beziehungen zwischen Schotten und Leuten aus anderen EU-Staaten.

In meiner eigenen Familie habe ich einen Neffen, der in Luxemburg arbeitet und in WIncheringen lebt - die drei Kinder sind zweisprachig; ein zweiter Neffe ist mit einer Französin aus Lothringen verheiratet; ein dritter Neffe hat mal als Hufschmied im Hunsrück gearbeitet und lebt jetzt mit seiner finnischen Lebensgefährtin in Finnland - selbstverständlich sprechen die beiden Kinder finnisch und englisch. Ich habe auch zwei Söhne - der eine hat ein Jahr lang als Fremdsprachenassistent in Lübeck gearbeitet, der andere lebt mit seiner deutschen Freundin zusammen, die hier in Schottland studiert hat und jetzt einen Masters macht. Heute, ohne die finanzielle Unterstützung der EU, sieht sie keine beruflichen Möglichkeiten in Schottland in ihrem Bereich - der Konservierung. Und meine Tochter? Während des Studiums hat sie als Fremdsprachenassistentin in Eisenach gearbeitet und lebt nun seit fünf Jahren in Wien. Wird die nächste Generation diese Möglichkeiten haben?

Aber was ich am schlimmsten finde ist, dass in England ausgerechnet meine Generation (60 bis 74 Jahre) für einen Brexit gestimmt hat. Das verstehe ich überhaupt nicht. Warum wollen Leute in diesem Alter unseren jüngeren Mitbürgerinnen und Mitbürgern das wegnehmen, was wir gehabt haben? Ohne die Stimmen dieser Leute wäre es zu keinem Brexit gekommen. Wovor haben diese Leute eine solche Angst? Allerdings muss man auch zugeben, dass nicht genug jüngere Wähler an der Volksabstimmung teilgenommen haben. Es gibt hierzulande zu viele Leute, die überhaupt kein Interesse an der Politik haben, die glauben, ihre Stimmen seien unwichtig, die kein Vertrauen zu Politikern haben.

Angst habe ich persönlich vor den kommenden zwei Jahren. Werden die EU-Staaten jetzt die Briten beim Austritt aus der EU hart bestrafen, damit andere EU-Staaten nicht selber auf die Idee kommen, aus der EU auszutreten? Oder sollte es eher zu Überlegungen darüber kommen, was Leute in diesem Land wie auch in anderen europäischen Staaten dazu bringt, sich Gedanken über ihre Zukunft in der EU zu machen? Die Politiker und Bürokraten in Brüssel scheinen sich wenig für Otto Normalverbraucher zu interessieren; sie hören ihn nicht oder aber schätzen überhaupt nicht, was er zu sagen hat. So darf es nicht weitergehen. Wir brauchen eine Gemeinschaft von europäischen Staaten, wie es die EG einmal war, und Schottland will an einer solchen Gemeinschaft teilnehmen.
Im Moment aber muss man nun in Schottland lange darüber überlegen, ob es zu (noch) einer Volksabstimmung über unsere Beziehungen zum Vereinigten Königreich kommen soll. Vor zwei Jahren hätte ich gemeint, ich würde niemals für ein unabhängiges Schottland stimmen. Heute denke ich anders. Die kommenden Tage, Wochen und Monate in Schottland werden schon spannend.

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