Weihnachten in der Ferne

Als im Dezember 1944 die Trierer Bevölkerung zum größten Teil evakuiert war, blieben in den Krankenhäusern die Schwerkranken zurück. Um auch sie in Sicherheit zu bringen, wurde ein Transport zusammengestellt, bei dem ich, 14-jährig, mit meiner kleinen Schwester meine kranke Mutter begleiten und betreuen durfte.Wir wussten alle nicht, wohin es ging. Es wurde eine lange Fahrt, und unser Zug war mehrmals Fliegerangriffen ausgesetzt. Nach fast endloser Reise landeten wir in Bad Saarow bei Berlin, wo wir in einem abgelegenen Barackenbau untergebracht wurden.Es begann eine schwere Zeit für uns alle. Ärzte und Pflegepersonal zeigten wenig Mitgefühl für die kranken Flüchtlinge, die ganz auf ihre Hilfe angewiesen waren.Weihnachten nahte, und trotz der bedrückenden Stimmung versuchte jeder, etwas zum Fest beizutragen. Die Männer bastelten, und die Frauen zauberten mit Handarbeiten schöne Dinge; man wollte sich untereinander eine kleine Freude bereiten.Ich hatte mir ausgedacht, mein vierjähriges Schwesterchen bei der Weihnachtsfeier als Engelchen auftreten zu lassen. Für mitgebrachte Bezugsscheine konnte ich in Fürstenwalde ein schönes Kindernachthemdchen erstehen, und mit viel Geduld brachte ich der Kleinen ein Weihnachtsgedicht bei.Am Heiligen Abend, unter einem großen Tannenbaum, lagen und saßen die Schwerkranken. Unter Tränen wurden Weihnachtslieder gesungen. Der Auftritt des Engelchens und der Austausch der kleinen Gaben brachte zwar etwas frohere Stimmung, aber in Gedanken waren wir doch alle bei unseren Angehörigen und hatten nur den einen Wunsch, wieder nach Hause zurück zu kommen in unser geliebtes Trier.Am nächsten Morgen gingen eine polnische "Fremdarbeiterin" und ich über den zugefrorenen Scharmützelsee zur Heiligen Messe in eine kleine Kirche.Diese Weihnachten werde ich nie vergessen. Ingeborg Amthor, geborene Hass, wurde 1930 in Trier geboren, wo sie heute noch lebt.

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