Wenn Opfer zu Tätern werden

TRIER. Seit Jahren steht der sexuelle Missbrauch von Kindern verstärkt im Blickpunkt der Öffentlichkeit. In einer dreiteiligen Serie nähert sich der Trierische Volksfreund einem besonderen Aspekt des Themas, der weitgehend tabuisiert wird: Dem Missbrauch von Kindern durch Kinder und Jugendliche.

 Wenn Kinder sexuell missbraucht werden, sorgt dies für Emotionen. Kaum gesprochen wird drüber, dass Kinder und Jugendliche auch Täter sein können.Foto: TV -Archiv/Friedemann Vetter

Wenn Kinder sexuell missbraucht werden, sorgt dies für Emotionen. Kaum gesprochen wird drüber, dass Kinder und Jugendliche auch Täter sein können.Foto: TV -Archiv/Friedemann Vetter

Zwarlassen Statistiken keine Zunahme der Fälle von Kindesmissbraucherkennen, doch gewachsen ist das Interesse an den Straftaten, diedie wahrscheinlich heftigsten negativen Emotionen in derGesellschaft verursachen. Aus den bekannten Fällen entsteht derEindruck, die meisten Täter seien männlich und erwachsen. ImHintergrund bleibt dabei, dass Jugendliche oder Kinder nicht nurOpfer, sondern auch selbst Täter sein können. In Trier wurden laut Polizeistatistik in den vergangenen beiden Jahren immerhin 20 Prozent der "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" von Jugendlichen begangen. International liegt die Quote sogar bei einem Drittel. Von einem leicht zu übergehenden Randproblem kann also nicht die Rede sein.

Rechtzeitige Hilfe verhindert Straftaten

Dafür spricht auch eine andere Beobachtung: Viele der erwachsenen Täter haben bereits im Jugendalter Handlungen sexuellen Missbrauchs vorgenommen. Rechtzeitige Hilfe könnte also ein Beitrag zur Prävention sein.

"Wenn sehr früh eingegriffen wird, kann die Entwicklung noch in eine andere Richtung gelenkt werden", sagt ein Mitarbeiter des Arbeitskreises gegen sexuellen Missbrauch für die Region Trier. Der 1993 gebildete Arbeitskreis ist ein Zusammenschluss aus verschiedenen Institutionen und Therapeuten, die sich mit betroffenen Kindern und Jugendlichen beschäftigen.

Eines der Ziele ist es, Strukturen zu schaffen, mit denen sexuellem Missbrauch durch Heranwachsende rechtzeitig vorgebeugt werden kann, so dass viele potenzielle Taten bereits im Keim erstickt werden. Erste Voraussetzung ist der offene Umgang mit dem Thema, das häufig noch tabuisiert wird. "Es ist schon schwierig, über normales Sexualverhalten zu sprechen. Um so unangenehmer ist es, ,anomales\\\' zur Sprache zu bringen", sagt eine Mitarbeiterin des Arbeitskreises.

Problematisch ist aber häufig nicht nur die Kommunikation. Schwierig ist vor allem, sexuell aggressives Verhalten überhaupt zu erkennen (siehe Hintergrund) und es erkennen zu wollen. Natürlich tendieren gerade Eltern eher dazu, das Verhalten des eigenen Kindes als "normal" zu bewerten, auch wenn dieses sich längst nicht mehr im Rahmen der üblichen "Doktorspiele" bewegt.

"Für Mütter und Väter ist es oft unvorstellbar, dass ihr Kind sexuelle Handlungen an Geschwistern oder anderen Kindern vornehmen könnte", so ein Mitarbeiter des Arbeitskreises. Deswegen werden die meisten Fälle sexuellen Missbrauchs über das unmittelbare Umfeld des Täters hinaus auch nicht bekannt. Entsprechend groß ist die Dunkelziffer, sehr zum Leidwesen der potenziellen Opfer. Denn nicht erkannte Täter können erneut zu einer Gefahr werden. So wie unerkannte Opfer oftmals auch zu Tätern werden. Schließlich haben immerhin 42 Prozent der jungen Täter selbst körperliche Misshandlungen erlitten. Fast genauso viele waren Opfer sexuellen Missbrauchs.

Ein Teil der Täter erlebt also frühzeitig Gewalt am eigenen Körper, unter anderem in Form von Handgreiflichkeiten und familiärer Vernachlässigung. Aus dieser Situation heraus fällt es den Tätern schwer, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen.

Da das vorgelebte Verhalten meist übernommen wird, richtet es sich später gegen die Opfer. Mit Hilfe der Opfervergangenheit vieler Täter lassen sich zwar deren Taten nicht entschuldigen, sie könnte aber Ansatzpunkt für eine therapeutische Behandlung sein, um für die Zukunft Missbrauch zu vermeiden. Deshalb ist Tätertherapie auch Opferschutz.

Morgen: Die Geschichte von Kevin, der Opfer war, bevor er selbst zum Täter wurde.

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