Wenn Senioren zu Freiwild werden

TRIER. Sie werden beschimpft, angepöbelt, belästigt, sogar angegriffen und verletzt. Mitten in Trier leben alte Menschen in ständiger Angst und verlassen kaum noch ihre Wohnung. Sozialdezernent Georg Bernarding sagt den Tätern, die oft in der direkten Nachbarschaft leben, den Kampf an: "Wir werden denen nicht das Feld räumen."

Heinrich F. ist 93 Jahre alt und lebt in Trier-Süd. Aus Angst vor seinen Peinigern will er anonym bleiben. "Wann immer ich mich auf der Straße zeige und diese Leute mich sehen, werde ich angegriffen", sagt er. "Zuerst mit Worten, einmal auch mit Fäusten. Dabei habe ich lediglich darum gebeten, dass die nächtlichen Gelage auf offener Straße nicht immer so laut ablaufen, dass ich nicht schlafen kann." Heinrich F. lebt allein, seine Frau ist vor einigen Jahren gestorben. "Wenn ich die Polizei rufe, kommt sie auch und ermahnt diese Leute. Und später werde ich bedroht." Trauriger Höhepunkt: Heinrich F. fand in seinem Briefkasten einen Zettel mit der Nachricht "Dich schlagen wir noch tot." Der Senior hat Angst. "Ich verlasse meine Wohnung kaum noch." Szenenwechsel. Maria R. lebt in Trier-West, sie ist 83 Jahre alt. "Ich habe schon immer in diesem Stadtteil gelebt, und ich fühlte mich all die Jahre wohl. Ich will hier nicht weg." Dennoch zieht die Rentnerin, die nach dem Tod ihres Mannes ebenfalls allein lebt, einen Umzug in Erwägung. "Ich habe ja keine andere Möglichkeit. Das hier ist doch kein Leben mehr." Mit "das hier" meint die Frau, die genau wie Heinrich F. aus Angst anonym bleiben will, ihr Problem mit einer Gruppe von Halbwüchsigen. "Ich bin nicht das einzige Opfer", sagt sie. "Diese Bande zieht hier durch die Straßen. Sie zertrümmern Briefkästen und Blumenkübel. Oft ist auch meine Haustür mit einer ekelhaften Masse verklebt, so dass ich sie nicht öffnen kann." Maria R. informierte die Polizei. "Danach bekam ich Besuch von den Eltern. Die sagten mir wörtlich, dass man solche alten, unnützen Quertreiber wie mich in der Mosel versenken sollte." Zwei Beispiele, die keine Einzelfälle sind. Die Opfer können sich nicht immer effektiv wehren, denn die Beweisführung ist schwer. "Die streiten bei der Polizei doch alles ab. Dann steht mein Wort gegen ihres", sagt Heinrich F., und auch Maria R. bestätigt: "Die Kinder sind noch nicht strafmündig und machen, was sie wollen. Den Eltern ist das egal." Bleibt also nur der Umzug in eine friedlichere Umgebung? "Das sehe ich nicht ein", sagt Triers Sozialdezernent Georg Bernarding. "Die Opfer haben einen Anspruch darauf, dass die öffentliche Hand eingreift." Bernarding bestätigt, dass es immer mehr solcher Extremfälle gibt. "Die Sitten sind rauer geworden, und zwar nicht nur in sozialen Brennpunkten. Es ist unerträglich, dass gerade alte Menschen in solche Situationen geraten." Der Sozialdezernent verspricht: "Wir können hier was machen. Die Betroffenen müssen raus aus der Isolation. Besuchsdienste wären eine Möglichkeit." Dazu kommt der Anruf bei Polizei und Ordnungsamt. "Die hier geschilderten Situationen sind eindeutig Straftaten, und diese werden geahndet."

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