Wenn das "Kavaliersdelikt" im Vorstrafenregister landet

TRIER. Über 700 Studenten in Trier standen im Verdacht, sich Ausbildungsförderung erschlichen zu haben. Durch Kontoabfragen flog der Schwindel auf. Mehr als 100 Verfahren sind noch anhängig, viele Studenten zittern um ihre berufliche Karriere, noch ehe sie begonnen hat.

 Sei es aus Unwissenheit, Nachlässigkeit – oder gar Absicht: Hunderte Studenten gerieten vor Behörden in Erklärungsnot, weil sie beim Bafög-Antrag nicht ihr gesamtes Vermögen angaben.TV-Foto: Klaus Kimmling

Sei es aus Unwissenheit, Nachlässigkeit – oder gar Absicht: Hunderte Studenten gerieten vor Behörden in Erklärungsnot, weil sie beim Bafög-Antrag nicht ihr gesamtes Vermögen angaben.TV-Foto: Klaus Kimmling

Der Schrecken kam per Post. Eines Morgens landete im Briefkasten von Jurastudentin Sandra ein Schreiben der Polizei. Sie werde verdächtigt, hieß es darin, jahrelang zu Unrecht Bafög kassiert zu haben. Auf der Polizeiwache sollte sie sich zu dem Vorwurf äußern. "Ich stand kurz vor dem Ende meines Studiums und hätte heulen können", erinnert sich Sandra. Angefangen hatte alles ein paar Monate zuvor. Sandra büffelte gerade für ihr Examen, da meldete sich das Bafög-Amt der Universität Trier. Ein Datenabgleich mit dem Finanzamt habe ergeben, dass ihr Kontostand zu hoch sei. Innerhalb von zwei Wochen musste Sandra dem Bafög-Amt ihre Kontoauszüge der letzten fünf Jahre vorlegen. Schließlich kam ein geheimes Sparkonto ans Tageslicht. Über 3000 Euro Fördergeld soll Sandra sich erschummelt haben. Prompt erstattete die Behörde Anzeige - die Sache wanderte zum Staatsanwalt. "Gegen 2144 Studenten in Rheinland-Pfalz wurde wegen des Verdachts auf Bafög-Betrug ermittelt", sagt Generalstaatsanwalt Norbert Weise. In Trier standen 789 Studenten im Verdacht, zu Unrecht Bafög erhalten haben. 174 Studenten wurden verurteilt, weit über 100 Strafverfahren sind noch anhängig. Darunter auch das gegen Studentin Sandra.Vorstrafe als Karriere-Killer

Eine Verurteilung wegen Betrugs kann sich für Studenten als Karriere-Killer erweisen. Das vermeintliche Kavaliersdelikt landet nämlich im Vorstrafenregister. Bei einer Geldstrafe ab 91 Tagessätzen taucht die Eintragung auch im polizeilichen Führungszeugnis auf. Wer vom Personalchef nach Vorstrafen gefragt wird und eine Eintragung im Führungszeugnis hat, muss mit der Wahrheit herausrücken. Noch schlimmer kann es angehende Beamte wie Juristen und Lehrer treffen. Im Gegensatz zu privaten Arbeitgebern bekommen Behörden und Rechtsanwaltskammern selbst die geringste Vorstrafe mit. Für Bewerber, die sich wegen einer Vorstrafe als ungeeignet für den Staatsdienst erweisen, ist der Traum von einer Beamtenkarriere vorbei. Rechtsanwalt Felix Orlowski berät Studenten, die angeblich zu Unrecht Bafög erhalten haben. Nicht alle hätten sich beim Ausfüllen des Bafög-Antrags bereichern wollen. "In vielen Fällen handelte es sich um Darlehen oder um Geld, das die Eltern auf den Namen ihres Kindes angelegt haben", sagt Anwalt Orlowski. Viele Studenten hätten aus Nachlässigkeit ihren Bafög-Antrag unvollständig ausgefüllt. Andere Studenten haben Vermögen verheimlicht, weil sie das Geld für ihr Studium sparen wollten. "Das kommt niemals raus", dachte Studentin Sandra, als sie den Bafög-Antrag ausfüllte. Ihre Eltern verdienen wenig Geld, deshalb musste sie nach dem Abitur arbeiten. Aus Angst, deswegen nicht die volle Bafög-Förderung zu erhalten, zahlte sie das Geld auf ein geheimes Sparkonto ein. "Die entdecken das Konto nie", soll der Banker zu ihr gesagt haben.Finanzamt deckt geheime Konten auf

Viele Bafög-Schummeleien sind aufgeflogen, weil die Behörden seit der Steuerreform 1999 leichter an Kontodaten herankommen. Die Lockerung des Bankgeheimnisses sollte eigentlich dazu dienen, Steuerbetrüger aufzuspüren. Der Bundesrechnungshof hatte 2002 angeregt, auch die Konten von Bafög-Empfängern zu überprüfen. Verstecktes Vermögen kommt ans Tageslicht, wenn jemand seiner Bank einen Freistellungsauftrag erteilt, um den Sparerfreibetrag zu nutzen. In diesem Fall müssen die Banken dem Finanzamt die Höhe der Zinserträge melden. Aus den Zinsen lässt sich errechnen, wie viel Geld auf dem Konto liegt. Studenten, die in ihrem Bafög-Antrag mehr als 5200 Euro Vermögen nicht angeben, müssen nicht nur das Fördergeld zurückzahlen, sondern riskieren auch eine saftige Geldstrafe. Auch wer Geld auf geheimen Konten deponiert und keine Freistellungsaufträge erteilt, macht sich verdächtig. Die Hartz-IV-Gesetze erlauben es dem Bundesamt für Finanzen, Kontostammdaten abzurufen, um so herauszufinden, wie viele Konten jemand besitzt.Nicht jeder landet vor Gericht

Studentin Sandra hofft, mit einem blauen Auge davonzukommen. "Nicht alle Fälle von Bafög-Betrug enden mit einer Verurteilung", sagt Generalstaatsanwalt Weise. Bei 332 Studenten hat die Staatsanwaltschaft Trier ein Auge zugedrückt und die Ermittlungen gegen eine Geldauflage eingestellt. Wer nicht mehr als 3000 Euro Fördergeld vom Bafög-Amt erschlichen hat, könne mit einer Einstellung des Strafverfahrens rechnen. "Dem Bund ist durch Bafög-Betrug ein enormer Schaden entstanden", sagt Viola Klamroth, Pressesprecherin im Bundesministerium für Bildung und Forschung. 318 Millionen Euro Fördergelder seien bisher zurückgefordert worden.

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