Wenn der Akku leer ist

TRIER/KASSEL. (len) An einer Steckdose im ICE-Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe hatte ein Trierer Student den Akku seines Laptop-Computers aufgeladen. Der Bundesgrenzschutz leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren ein - wegen des Diebstahls von Strom im Wert von unter einem Cent.

Mit dem ICE fuhr Jan Michael Ihl nach Kassel zu einem Seminar der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Gerade dem Zug entstiegen, wollte er aus seinem Laptop die Adresse des Tagungshauses abrufen - doch der Akku war leer. Die Rettung für den Studenten war eine Steckdose im Bahnhof. Etwa zehn Minuten lud Ihl seinen iBook-Computer auf - solange musste er auf die Straßenbahn warten. Im Laufschritt in in den Ärger

Als die Bahn kam, wurde es hektisch: Im Laufschritt erreichte Ihl sie gerade noch - doch er hatte die Rechnung ohne drei Beamte des Bundesgrenzschutzes gemacht. "Mit den Worten ich sei vorläufig festgenommen, holten sie mich aus der Bahn", berichtet der Student. Zunächst hätten die Grenzschützer ihm vorgeworfen, er habe den Rucksack gestohlen, in dem sich der Laptop befand. Als sich dies als nicht haltbar erwies, hätten sie sich auf den Computer selbst beschränkt, schließlich auf das Ladekabel. Aber, Ihl kannte seine Passwörter und hatte selbst auf dem Ladegerät seinen Namen vermerkt. Nach einer Viertelstunde habe ihm der Wortführer der Grenzschützer schließlich vorgeworfen, er habe der Bahn Strom entwendet, erzählt der Student. Als er nach einer halben Stunde gehen durfte, hatte Ihl die letzte Straßenbahn verpasst. Er nahm ein Taxi zum Ziel, ärgerte sich über die knapp 20 Euro Fahrtkosten und dachte, die Sache sei erledigt. Einige Wochen später aber erhielt er ein Schreiben, in dem stand, dass gegen ihn ermittelt werde - wegen des Entzugs von Energie. 60 Watt verbraucht Ihls iBook beim Laden, zehn Minuten war das Gerät eingesteckt: Der Student hat für gut einen Zehntel Cent Strom entwendet. Ihl schaltete einen Anwalt ein, um die Rechtmäßigkeit des Verfahrens prüfen zu lassen. Denn pikanterweise ist der Straftatbestand der "Entziehung elektrischer Energie" ein Antragsdelikt. "Das heißt, dass es nur verfolgt werden kann, wenn ein Berechtigter einen Strafantrag stellt", erklärt Anwalt Werner Althaus. "Das wäre in diesem Fall wohl der Geschädigte, derjenige also, auf dessen Stromzähler die Steckdose geht." Hat also die Bahn AG Strafantrag gestellt? Dies wisse er nicht, da er die Akten noch nicht eingesehen habe, sagt der Anwalt. Zumindest nicht begeistert von dem Vorgehen des Studenten ist Cornelia Rauchenberger, Sprecherin für die Bahn in Hessen und Rheinland-Pfalz. Normalerweise gäbe es auf den Bahnhöfen keine öffentlich zugänglichen Steckdosen. "Der Anschluss war offensichtlich nicht für Kunden vorgesehen", sagt sie. "Wenn sich da jemand einstöpselt, sehen wir das nicht gerne." Schließlich gebe es ja im erste Klasse-Bereich DB-Lounges mit Anschlüssen für den Laptop, auch die modernen Züge seien mit Steckdosen ausgestattet. Ihl fuhr in einem ICE der ersten Generation nach Kassel, rund 60 Euro zahlte er für seine Zweite-Klasse-Fahrkarte - Steckdosen für den Laptop habe es in dem Zug aber nicht gegeben, berichtet er. Ob die Bahn im Fall von Ihl Strafantrag gestellt hat, weiß auch die Bahnsprecherin nicht. Hat es also ein Grenzschützer mit der Auslegung des Gesetzes zu genau genommen? Rolf Wellershausen, Pressesprecher des Bundesgrenzschutzamtes Frankfurt, nimmt seine Kollegen in Schutz: "Der Polizist ist angehalten, Straftaten aufzuklären. Vielleicht hat ein Mitarbeiter da wirklich etwas ganz Gravierendes dahinter vermutet." Immerhin, eine positive Nachricht hat er für Ihl: Die Ermittlungen seien inzwischen abgeschlossen, die Unterlagen bei der Staatsanwaltschaft. Wellershausen: "Wahrscheinlich wird das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit eingestellt werden."

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