Wenn sich Veronica im Lenz über jarnischt mehr wundert

TRIER. Das Berlin der 20er Jahre ließen Ewald Schu und das Ensemble "Choract" aus Konz-Oberemmel mit einem Liederabend in der Tufa auferstehen. Unter dem Titel "Ick wundere mir über jarnischt mehr" vergnügten sie das Publikum mit Couplets von Otto Reutter und A-cappella-Musik der Comedian Harmonists.

 Mit satirischen Lieder des in den 20er-Jahren in Berlin bekannten Vortragskünstlers Otto Reutter (Porträtzeichnung), unterhielt Ewald Schu sein vergnügtes Publikum in der Tufa Trier.Foto: Anke Emmerling

Mit satirischen Lieder des in den 20er-Jahren in Berlin bekannten Vortragskünstlers Otto Reutter (Porträtzeichnung), unterhielt Ewald Schu sein vergnügtes Publikum in der Tufa Trier.Foto: Anke Emmerling

Ein goldenes Grammophon, ein Flügel, ein Porträt und zwei Herren im Frack zeigen, wohin die Reise an diesem Abend in der Tufa gehen soll: Auf die Varieté-Bühnen des alten Berlin, wo Kurt Tucholsky den ersten deutschen Comedian und Schallplattenstar bewunderte: Otto Reutter (1870-1931). Der schrieb und sang Couplets, satirische Lieder, in denen er die Zustände im Kaiserreich, vor allem aber das Leben als solches und am liebsten das seiner Mitmenschen aufs Korn nahm. Tucholsky äußerte über ihn: "Ein Refrain ist immer besser als der andere, die Leute liegen unter dem Tisch. Und dann verbeugt sich ein dicker Mann, der sich ganz bescheiden nimmt, obwohl er ein großer Künstler ist." Ein so großer Künstler, meint Ewald Schu aus Oberemmel, dass er besser gar nicht erst versuchen wolle, ihn zu kopieren. Das wäre auch nicht nötig, denn Ewald Schu ist selbst ein Original. Im Hochzeitsfrack seines Vaters von 1939, mit Blume im Knopfloch und Melone auf dem Kopf zeigt er wahrlich Stil. Und spätestens, als seine mit Glacé behandschuhten Hände "Und so kommen wir aus der Freude gar nicht raus", gestisch illustrieren, hat er die Herzen und Lachnerven seiner Zuhörer schon gewonnen. Die Texte, die er mit schöner und sicherer Stimme zur Begleitung von Christoph Schach am Piano singt, tun ein übriges: "Wie reizend sind die Frauen - erst haste se auf dem Schoß, dann am Hals", oder "Wenn´s Mode wär, kämen se auch im H... - hemmt doch mal den Gang zu den Boutiquen". Nicht nur die älteren Semester im Publikum lachen, obwohl Schu selbst kommentiert: "Eigentlich sind das chauvinistische Klamotten." Man müsse sie aber aus der Zeit heraus verstehen. Dazu trägt er selbst bei, indem er zahlreiche Informationen über Otto Reutter einstreut, bevor weitere Lieder mit zeitlos aktuellen Lebensweisheiten folgen: "...drum sei dein Trost, egal was sei: In 50 Jahren ist alles vorbei... hast du noch Wein, dann trink ihn aus... du lebst nur einmal...". Die Melodien gehen ins Ohr, sind Evergreens. Die Texte reizen zum Schmunzeln, bergen spitzfindig pointierte Beobachtungen, in denen sich jeder selbst wiederfinden kann: "Wir sind nur auf der Welt wegen der Leut... nie nach dem eigenen Behagen - zu Hause essen wir Eintopf, gehen wir aus, bestellen wir Austern, sagen blasiert: Schon wieder Austern heut - alles wegen der Leut!" Die Zuschauer klatschen, manchmal zu früh, weil jede Pointe so gut ist, dass sie das Ende sein könnte. Gesteigert wird das Vergnügen noch durch die Auftritte des Ensembles "Choract" des Männergesangsvereins "Lyra" Oberemmel unter Leitung von Joachim Weber. "Lass mich dein Badewasser schlürfen", "Wenn bei Capri die Sonne im Meer versinkt" oder das unvermeidliche "Veronica, der Lenz ist da" schmettern die strohbehüteten Herren so gekonnt geziert, dass das Publikum nach mehr verlangt. Ein vergnüglicher Ausflug in eine zeitlose Vergangenheit, der am 12. Mai 2007 im Kloster Karthaus erneut angetreten werden kann. Info: Ewald Schu, Telefon 06501/16061, E-Mail: ewaldschu@aol.com.

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