Wider die musikalische Routine

TRIER. Der Domchor singt in erster Linie liturgische Musik zum Gottesdienst. Vergleichweise selten begeben sich Chor und Domkapellmeister Stephan Rommelspacher an die Konzertöffentlichkeit. Am kommenden Sonntag führen sie das "Stabat mater" von Antonin Dvorak auf.

Ein Stück zur Passion, zum Leiden und Sterben Christi im November? Das "Stabat mater", zu dem Antonin Dvorak seine großartige Vertonung schrieb, erzählt ja von den Schmerzen der Gottesmutter beim Kreuz Christi. Für Stephan Rommelsspacher ist die Jahreszeit kein Einwand. Der Domkapellmeister und Dirigent im Konzert am kommenden Sonntag, 20. November um 17 Uhr im Trierer Dom hebt den universalen Zug des Werks hervor, erklärt, dass es die Novemberthematik von Vergänglichkeit, Tod und ewigem Leben bestens umschreibe. Dvoraks "Stabat mater" persönlich und umfassend

Wirklich: Antonin Dvorak hat sein "Stabat mater" nicht für die Liturgie geschrieben oder für eine Passionsaufführung, sondern unter dem Eindruck vom Tod dreier seiner Kinder. Uraufgeführt wurde es knapp vor Weihnachten, am 23. Dezember 1880. Ein persönliches, ein umfassendes, ein allgemein gültiges Werk also. "Die gewaltige Architektur hat mich beeindruckt", sagt Rommelspacher. Der große, 25 Minuten dauernde Eingangschor beispielsweise. Und dann der Einfallsreichtum in der Melodik, die ganz sacht dem alten gregorianischen Choral nachgebildet ist, der Orchesterklang - "unheimlich gut ausgehört und austariert." Am Sonntag musizieren sie dieses Werk im Trierer Dom - die Vokalsolisten Katja Pieweck, Ruth Sandhoff, Xavier Moreno und Hiroshi Matsui, das Staatsorchester Rheinische Philharmonie Koblenz, und der verstärkte Trierer Domchor, verstärkt hauptsächlich durch Kräfte aus den "Cantores Trevirenses" von Matthias Balzer. "Mindestens 80 Sängerinnen und Sänger müssen es sein bei diesem Stück", sagt Rommelspacher. Das ist ein Problem des Domchors: Er ist für Oratorienaufführungen, aber auch für groß angelegte liturgische Musik zu klein. 50 Mitglieder stehen auf dem Papier, 35 bis 40 sind es in den Auftritten. Und die sind zahlreich. Im Mittelpunkt stehen nicht die Konzerte, sondern die musikalischen Beiträge zur Liturgie im Dom-Gottesdienst. Keine Frage, das ist Stress: an mehr als 20 Sonntagen pro Jahr Mitwirkung im Hochamt, dazu die Feste, Heilig-Rock-Tage, Jubiläen, Amtseinführungen. In der Karwoche stehen knapp 40 Kompositionen auf dem Programm - vom kleinen Choral bis zur großen Messe. Verständlich, dass sich in Zeiten, in denen die meisten mit Musik eher unverbindlich und bestenfalls sportlich-leger umgehen, jeder dreimal überlegt, ob er zum Domchor will. Trotzdem sei der Anteil von Jugendlichen bemerkenswert hoch, sagt der Domkapellmeister. Vielleicht zieht die ja gerade an, dass Musizieren im Dom mehr ist als nur irgendeine Freizeitbeschäftigung, dass Konzentration, Hingabe, Interesse und Stetigkeit erwartet werden - und die Fähigkeit, in kurzer Zeit ein Stück aufführungsreif zu beherrschen. "Manchmal kann ich nur Details proben", sagt Rommelspacher, "und muss darauf vertrauen, dass es in der Aufführung funktioniert". Der Domchor hat ein Nachwuchsproblem

Das ist Risiko, aber auch Chance, weil unter solchen Umständen die Eigenverantwortung der Sängerinnen und Sänger an Bedeutung gewinnt und mit ihr die Fähigkeit zu energischem, offensivem, intensivem Musizieren. "Erstaunlich, was der Chor in der Spannung des Auftritts bringt". Gleichwohl: Der Domchor hat ein Nachwuchsproblem. Aber der Dom hat auf diese Entwicklung reagiert. Mit Harald Schmitt und seit September Thomas Kiefer hat man einen "Domkantor" angestellt, der sich um die Nachwuchsförderung kümmert. "Wir müssen jetzt durch eine Durststrecke", sagt Rommelspacher und bittet um ein paar Jahre Geduld, bis die neue Nachwuchsförderung greift. "Dann kann ich eine Besetzung aufbauen, die das ganze Spektrum der geistlichen Musikliteratur abdeckt", sagt er, und man spürt: darin steckt eine Menge künstlerischer Vorfreude.

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