Wie ich Trierer wurde

Als ich im Januar 1993 nach Trier zog, zeigte das Thermometer zweistellige Minusgrade an. Frostig war auch der Empfang beim Einwohnermeldeamt im Polizeipräsidium. Dorthin musste ich zur Anmeldung - das wusste ich von Erstsemestern, die wie ich von der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen nach Trier geschickt worden waren.

Und: Zweitwohnsitz-Anmeldung sieht man in Trier gar nicht gern. Denn Trier will Großstadt werden - dann kriegt der Oberbürgermeister mehr Gehalt. "So muss es in den 50er-Jahren in allen Ämtern ausgesehen haben, dachte ich, als ich den Anmeldeschalter sah. Kommentarlos registrierte man mich dort. Vier Monate später startete die Stadt Trier den ersten Versuch, mich zum Vollbürger zu machen - mit einem Schreiben vom Ordnungsamt. Mit spitzer Handschrift war in ein Formblatt meine Adresse eingetragen. Zur Festlegung von Haupt- und Nebenwohnsitz sei nur die Aufenthaltszeit entscheidend, hieß es. "Sollten Sie davon ausgehen, dass Sie sich im Verlaufe eines Jahres überwiegend in Ihrer Heimatgemeinde aufhalten, bitten wir Sie, uns dies plausibel darzulegen und - wenn die durchschnittliche Fahrzeit zu Ihrem Heimatort mehr als ungefähr drei Stunden beträgt - durch geeignete Nachweise zu belegen." Es folgte eine Drohung: Sollte ich nicht binnen zwei Wochen reagieren, werde das Melderegister zu Gunsten von Trier "korrigiert". "Was geht die das an?" dachte ich im ersten Moment. Dann aber listete ich auf, wie lange ich an meinem Heimatort Bonn war. Der nächste Brief kam zwei Jahre später, diesmal vom Einwohnermeldeamt. Nicht die Aufenthaltszeit in Trier sei entscheidend, hieß es diesmal, sondern wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen liege. Immerhin war die Antwort einfach: zum Ankreuzen. Zwei weitere Jahre vergingen, dann kam die nächste Aufforderung - doch nicht von der Stadt. "Trier muss Großstadt werden" stand auf einem Faltblatt, das mir ein Mann vor der Mensa in die Hand drückte. Die Vereine Tufa und Palais hatten sich zum Ziel gesetzt, Trier zur Großstadt zu machen. Locken sollten Freikarten für Schwimmbad, Eislaufhalle, Stadttheater, Tufa und Palais. Im Jahr darauf gab es zusätzlich Gutscheine von Trierer Firmen. Sogar ein Paar kostenlose Turnschuhe hätte ich mir bei Romika abholen können. Doch Turnschuhe hatte ich - und genutzt hat die Aktion nichts: Trier wurde 1998 nicht zur Großstadt. Mit einem Job an der Uni habe ich 1999 meinen Hauptwohnsitz in Trier angemeldet. Da gab es keine Geschenke, aber einen hübschen Aufkleber auf den Personalausweis. Der alte Hauptwohnsitz wurde zum Zweitwohnsitz. Doch den sollte ich bald abmelden. Auch Bonn will dafür eine Steuer einführen. Wolfgang Lenders

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