"Wir sind die Kreativen und Mutigen"

Trier · Die Stadt Trier und ihre Kreativschaffenden sind näher aneinandergerückt. Das erste Forum für Trierer Startups im Frankenturm verspricht nicht nur Arbeitsräume für die Jungunternehmer, sondern auch Perspektiven für das Karl- Marx-Jahr 2018.

 Visuelle Identitäten heißt die Idee von Alexandra Prischedko: Eine schraffierte Folie bringt Bewegungen in starre gedruckte Formen.TV-Foto: Nicolaj Meyer

Visuelle Identitäten heißt die Idee von Alexandra Prischedko: Eine schraffierte Folie bringt Bewegungen in starre gedruckte Formen.TV-Foto: Nicolaj Meyer

Foto: (h_st )

Trier. Die Tallage haben Trier und das Silicon Valley in Kalifornien bereits gemeinsam. Doch in der Römerstadt steht innovatives Potenzial oft im Schatten alter Denkmäler. Zunehmend tüfteln lokale Startups an der nächsten großen Idee. Oberbürgermeister Wolfram Leibe hat zu einem Treffen im Frankenturm eingeladen, um diese Ideen zu fördern: "Wir sind die Kreativen und die Mutigen!", begrüßt Leibe sie schwungvoll.20 Kreative beim Treffen


"Ich bin in Trier hängengeblieben, habe es aber nie bereut!", sagt die in Perl geborene Simone Busch, während sie ihre Fotokunst vorstellt. Sie ist nicht ins hippe Berlin gezogen, wo sich die Kreativen und Innovativen tummeln. Der mittelalterliche Wohnturm im Zentrum Triers bietet an diesem Abend Raum für Ideen und für rund 20 Kreative aus sieben sogenannten Startups (Siehe Extra), außerdem das Medien und IT-Netzwerk Trier-Luxemburg (MITL) und die Werbeagentur Phormat. "Gerade in einer kleinen Stadt kann man was bewegen!", findet die umtriebige Busch. Sie macht Fotoführungen durch Trier, ist Schauspielerin oder arbeitet als Persönlichkeitstrainerin.

Alle Startups bekommen Zeit, ihre großen Träume an kleinen Tischen mit Informationsmaterial zu präsentieren. Alexandra Prischedko, ursprünglich aus Zitomir in der Ukraine, stellt ihre "visuellen Identitäten" vor. Sie bringt Bewegung in sonst starre gedruckte Formen. Schiebt man eine schraffierte Folie über die abgedruckte Balletttänzerin ihres Buchs, fängt diese an Pirouetten zu drehen. Mancher ist überrascht, wie es wohl ein Zuschauer der ersten Kinos des späten 19. Jahrhunderts gewesen sein muss.

"Ich gebe Künstlern ein Zuhause", sagt Laas Koehler, zugezogen aus Berlin, und meint damit sein K9-Konzept. In der Karl-Marx-Straße 9 hat er einen Raum, den er Künstlern zur Verfügung stellt. "Ich habe nicht mal einen Führerschein. Ich brauche keine teuren Autos," sagt Koehler, der mit einem materiell minimalistischen Leben glücklich sei. Er macht deutlich, nicht jeder Kreative möchte das nächste Facebook oder Ebay gründen - Unternehmen mit Potenzial aus der IT-Branche sind aber auch dabei.

Gentlymad ist eine junge Firma für Videospiel-Entwicklung von Studenten der Fachhochschule Trier, die schon verschiedene Preise abgeräumt hat mit einem Spiel über den Tod namens "In Between" - auf Deutsch "dazwischen". "Wir wollen hier Expertise austauschen. Mit unserem digitalen Know-how können wir sicher auch helfen," erklärt Daniel Denne seine Motivation.

Nach dem freundlichen Kennenlernen startet die Diskussion. An einer Wäscheleine haben die Kreativschaffenden ihre Bedürfnisse auf großen Zetteln aufgehängt, Leibe arbeitet die imaginären Wäschestücke nacheinander ab. Eins der größten Themen: Büroraum. "Büroraum für eine kurze Dauer kostengünstig zur Verfügung zu stellen, ist kein Thema", verspricht Leibe.

Er betont vielfach, wie wesentlich es ist, dass er den Bedarf der Künstler kenne und macht so auf die Informationslücke zwischen Stadt und Künstlern aufmerksam. "Wenn wir Aufträge vergeben, dann oft an Firmen aus München oder Hamburg." Mit mehr Markttransparenz wolle Leibe dieses Verhältnis aufbrechen und die lokale Szene in Zukunft stärken - im Gegenzug fordert er Professionalität der hiesigen Startups für verlässliche Partnerschaften.Verschenkte Potenziale


"Es reicht nicht nur zu fragen, welcher Bedarf besteht. Hat denn die Stadt auch mal selbst geschaut, was wir brauchen?", kritisiert Benjamin Palfner von Game UP - ein vom Land gefördertes Spieleforum. Trier sei der größte Ausbildungsstandort für Spieleentwickler mit rund 600 Studenten im Bereich Digitale Medien und Spiele sowie über 200 Studenten im Intermedia Design. Gleichzeitig habe Rheinland- Pfalz mit Abwanderungszahlen von über 50 Prozent die schlechteste Quote in Westdeutschland. Ein deutliches Warnsignal für die regionale Startup-Szene, findet Palfner. Allein die Existenz von Game Up sieht Palfner dennoch als richtigen Schritt.

Leibe betont, dass er nicht für Luxemburger Verhältnisse sorgen kann, und sich zunächst vor Ort über den bedarf informieren möchte. "Diese Serviceorientierung für Kreativschaffende hat es in Trier vor Leibe nicht gegeben!", springt Ole Seidel von MITL in die Bresche.

Das Treffen bleibt keine reine Bestandsaufnahme, sondern entpuppt sich vielleicht als Geburtsstunde für eine vertiefte Zusammenarbeit von Stadt und Kreativen für das Karl-Marx-Jahr 2018. Viele Kunstschaffende wie etwa Alexandra Prischedko bekunden hohes Interesse, sich bei dem ganzjährigen Fest einzubringen.

Beim gemütlichen Verspeisen von Canapés verrät Leibe im Anschluss an eine belebte Diskussion seine persönliche Motivation: "Ich habe lange in Stuttgart die Bundesagentur für Arbeit geleitet und weiß, dass es manchmal nur einen kleinen Anschub braucht."Meinung

Kontakte knüpfen und Ideen fördern
Triers Standortfaktoren für Jungunternehmen sind besser als ihr Ruf. So ist die Dichte an Design- und Architekturbüros überdurchschnittlich hoch - damit arbeiten die Unternehmen gleichzeitig in enormer Konkurrenz zueinander und machen sich das Leben schwer. Trier ist die Stadt der kurzen Wege, sowohl im physischen wie im übertragenen Sinn. Wer hier weiterkommen will, muss offen auf Partner zugehen, den Kontakt suchen. Viele etablierte Unternehmen und Projekte wie der Street-Food-Market, die Kulturkarawane - die das Melodica- Festival oder den Sterntaler- Weihnachtsmarkt organisiert - und das Textilunternehmen Hong and Friends zeigen, was möglich ist. Zuletzt bleibt Trier eine sehr lebenswerte Stadt - und Universitäts- und Bildungsstandort mit fast 25 000 jungen Köpfen, deren Ideen mehr gefördert werden müssen. Das von OB Wolfram Leibe angeregte Treffen ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, so signalisiert die Stadt ihr Interesse an den Kreativen.
n.meyer@volksfreund.deExtra

Ein Startup ist ein wirtschaftsgeschichtlich recht neuer Begriff, der ein junges Unternehmen bezeichnet, das durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet wird: Es hat eine innovative Geschäftsidee bzw. Problemlösung - und die Unternehmensgründung erfolgt mit dem Ziel, schnell zu wachsen und einen hohen Wert zu erreichen. (Quelle: Wikipedia)

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