"Wir wissen nicht mehr weiter"

TRIER. Von heute auf morgen zum Sozialfall: Ein Familienvater ist nach einem Unfall arbeitslos, er kann wegen der Folgen nicht mehr arbeiten. Die siebenköpfige Familie lebt von der Hand in den Mund.

Rolf Schmidt (Name geändert) ist verzweifelt. Seit eineinhalb Jahren ist der fünffache Vater arbeitslos, gekündigt, weil er seit einem schweren Autounfall arbeitsunfähig ist. "Wir wissen bald nicht mehr, wie wir über die Runden kommen sollen", sagt der 43-Jährige. Die Schulden wachsen der Familie, die zur Miete in einem Reihenhäuschen wohnt, über den Kopf. Der Vermieter droht bereits mit Kündigungsklage, Strom- und Gas-Rechnungen können nicht bezahlt werden, auch RWE und Stadtwerke drohen mit Klagen. Hinzu kommen die Schmerzen, die Schmidt seit dem Unfall hat. Fast ein Din-A-4-Blatt lang ist die Liste der Medikamente, die er seit Januar 2005 schlucken muss. "Dauerschmerz" diagnostizierten seine Ärzte, eindeutig Folgen des Unfalls, sagen sie. Hinzu kommen Schlafstörungen und Hörverlust. Versicherungen wollen nicht zahlen

Es bestehe kein Verdacht, dass Schmidt die Symptome übertreibe, steht in einem Arztbericht. Eine Dauerschädigung sei nicht auszuschließen. Von heute auf morgen ist der einst sportliche Mann zu einem Invaliden geworden, kann sich derzeit nur mit einer Krücke bewegen. Es ist der 14. Januar 2005, kurz vor 13 Uhr. Schmidt ist auf dem Rückweg von der firmeneigenen Tankstelle, die er als Lagerleiter kontrollieren muss. In der Nähe des luxemburgischen Grevenmachers kracht an einer Kreuzung ein Tanklaster seitlich in den Van von Schmidt. Das Auto wird über die Straße geschleudert, Schmidt prallt auf das Lenkrad und wird eingeklemmt. Mit einer schweren Prellung und Brustkorbverletzungen wird er ins Krankenhaus nach Luxemburg-Stadt gebracht. Dem Fahrer des Tankwagens wird im Polizeibericht fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Demnächst soll der Prozess in Luxemburg stattfinden. Egal wie er ausgehen wird, an der Situation des gezeichneten Familienvaters wird sich kaum etwas ändern. In seinem Beruf kann er nicht mehr arbeiten. Obwohl der Medizinische Dienst der Krankenkassen den 43-Jährigen für arbeitsfähig hält, bescheinigen ihm seine Ärzte und sein Psychotherapeut, der ihn wegen Depressionen behandelt, dass er unmöglich arbeiten kann. Und obwohl die luxemburgische Unfallversicherung den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt hat, hat sie nach einem dreiviertel Jahr die Zahlungen eingestellt, sie lehnt die Übernahme der Kosten ab. Die diagnostizierten Krankheiten könnten nicht von dem Zusammenstoß stammen, heißt es. Kurz zuvor hat er von seiner Firma die Entlassung erhalten. Seitdem steht Schmidt auf der Straße, lebt von Hartz IV - 122 Euro im Monat und Übergangsgeld, knapp 1700 Euro im Monat. Hilfe aus Luxemburg gibt es keine. Ein finanzieller Absturz. Als er noch gearbeitet hat, hat er samt Kindergeld und Überstundenzahlungen nach eigenen Angaben knapp 5000 Euro im Monat. "Es ging uns gut, damit kamen wir rum." Wie es nun weiter geht weiß Schmidt noch nicht. Vom gut verdienenden Arbeiter zum Sozialfall. Schmidt - ein Beispiel für neue Armut. Immer wieder muss irgendwo geknapst werden

Die Ersparnisse, mit denen sich die Familie eigentlich ein eigenes Haus bauen wollte, sind längst aufgebraucht. Weil sie die Miete in ihrer alten Wohnung nicht mehr bezahlen konnten, sind sie umgezogen, in ein billigeres, kleineres Haus - sieben Personen auf rund 120 Quadratmetern. Hunderte von Euro hat Schmidt für Gutachten ausgeben, die die luxemburgische Berufsgenossenschaft gefordert hat. Hinzu kommen laufend Ausgaben für die Kinder, die zwischen sieben bis 19 Jahren alt sind. Sie brauchen Geld für Kleider, Schulbücher, Klassenausflüge. Immer wieder muss irgendwo geknapst werden. "Die Kinder leiden auch, die sind solche Zustände bei uns nicht gewöhnt", sagt Schmidt. Weihnachten sei dieses Mal eine "ganz traurige Angelegenheit" gewesen. Hoffnung, dass es in diesem Jahr besser wird, hat er nicht.

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