Zuhause auf Straßen und Plätzen

TRIER. Schnorrer, Penner, Tippelbrüder – abfällige Ausdrücke und Vorurteile gibt es genug für die Randgruppe der Obdachlosen. Rainer Ackermann sieht die Menschen dahinter und will ihnen helfen. Dafür schmiss er vor elf Jahren seinen Bürojob hin und wurde Streetworker.

"Ganz nah dran" ist das Motto des 30 Mitglieder starken Vereins "Streetwork" Trier: Vorbehaltlos, unbürokratisch und ohne Berührungsängste wird Menschen geholfen, die aus den unterschiedlichsten Gründen auf der Straße leben. Denn hinter dem Obdachlosen-Dasein steckt meist nicht die bewusste Entscheidung, fern gesellschaftlicher Zwänge und Pflichten leben zu wollen. Den Ausschlag gaben vielmehr unverarbeitete Brüche in der Biographie, verbunden mit individuellen Faktoren. Kommen zu Familienproblemen, Scheidung oder Arbeitslosigkeit noch psychische Erkrankungen oder Suchtprobleme, kapituliert so mancher und landet auf der Straße. Vertrauen muss erkämpft werden

Um diesen Menschen ein Stück ihrer Würde wiederzugeben, tauschte Raimund Ackermann (48) vor elf Jahren seinen Job als Verwaltungsangestellter gegen die Arbeitswelt eines Streetworkers. 1999 erkannte Peter Kappenstein, Leiter eines Büros für Sozialplanung und Erster Vorsitzender des Vereins "Streetwork" Trier, den Wert von Ackermanns Arbeit und hatte die Idee zur Gründung des Vereins. "Im Gegensatz zu anderen wohltätigen Organisationen gehen wir auf die Betroffenen zu und warten nicht, bis sie zu uns kommen", beschreibt Kappenstein das Prinzip. Seitdem ist Ackermann im Dienst von "Streetwork" auf den Straßen Triers unterwegs und hilft seinen "Kunden", wo er kann. Neben konkreten organisatorischen Hilfestellungen und der vermittelnden Rolle zwischen Behörden und karitativen Verbänden sieht der Streetworker seine Aufgabe vor allem im Zwischenmenschlichen: Er redet viel mit den Obdachlosen und hört sich ihre Sorgen an, er besucht sie im Krankenhaus oder begleitet sie zu Gerichtsterminen. Das Vertrauen, das ihm inzwischen entgegengebracht wird, hat er sich hart erkämpfen müssen und ist Voraussetzung seiner Arbeit und gleichzeitig Ausdruck der Anerkennung. "Es ist sehr schwierig, den Teufelskreis von Arbeits-, Wohnungs- und Perspektivlosigkeit zu durchbrechen, vor allem, weil immer irgendwelche Drogen mit im Spiel sind", stellt Ackermann fest. Ein erster Schritt auf dem Weg zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft sei, Alkoholiker von der Flasche wegzukriegen, indem er sie zu Suchtberatung und Therapien motiviere. Dabei ist er Realist genug zu wissen, dass nur wenige den Sprung zurück ins "normale" Leben auch wirklich schaffen. Meist überwiegen Resignation und die Angst vor den körperlichen und seelischen Strapazen einer Entziehungskur. Trotzdem will er seinen Beruf nicht als reine Sisyphusarbeit einordnen: "Ich bin ein positiver Mensch und sehe meinen Job eher als Berufung an, außerdem habe ich eine gute Ausdauer, schließlich bin ich nebenher auch Langstreckenläufer." Lange Strecken hat er auch in Zukunft vor sich - bei seiner Arbeit in den Straßen von Trier.

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