Zwangs-WG mit Fremden

Trier · Die Stadt Trier muss derzeit in jeder Woche 50 neue Flüchtlinge unterbringen. Der Wohnraum dafür ist so knapp, dass es dabei zu prekären Situationen kommt. Wohneinheiten in der Jägerkaserne und im Burgunderviertel sollen nun zumindest kurzfristig Entspannung bringen.

Trier. Noch im Oktober sollen die ersten neuen Wohneinheiten für Flüchtlinge in der Jägerkaserne in Trier-West bezugsfertig sein. Hier sollen nach bisherigen Plänen vor allem Männer leben. Auch im Burgunderviertel in Trier-Kürenz wird die Hälfte der besonders für die Unterbringung von Familien vorgesehenen Gebäude nach Auskunft der Stadt bis zum Ende des Monats zur Verfügung stehen.
Damit könnte zumindest etwas Ruhe in die prekäre Situation bei der Unterbringung von Asylbewerbern kommen.

Der Fall: Manfred Urban und seine Frau Hildegard sind entsetzt - nicht darüber, dass in einer von acht Wohnungen ihres Mietshauses seit Ende September eine Flüchtlingsfamilie aus Afghanistan mit einer 17-jährigen Tochter und einem zwölfjährigen Sohn untergebracht worden ist. Für ethisch nicht verantwortbar - gar "unmoralisch" - sehen sie die eine Woche später von der Stadtverwaltung verfügte Zuweisung zweier alleinstehender Männer in dieselbe Wohnung, die beinahe zu einer Eskalation geführt hat. "Da war plötzlich große Aufregung im Treppenhaus, weil die Familie auch aus religiösen Gründen nicht mit zwei Fremden in einer Wohnung bleiben wollte, die nur über ein Bad mit Toilette verfügt", sagt Manfred Urban. Aber seine Vermittlungsversuche beim Sozialamt und auch Anrufe bei einigen Stadtratsmitgliedern halfen nicht. Eines der vier Zimmer in der 75 Quadratmeter großen Wohnung wird seither von den beiden Männern bewohnt, die ebenfalls aus Afghanistan stammen sollen.
Nicht nur für eine streng muslimische Familie sei so eine Situation unerträglich, argumentiert Manfred Urban, der sich gemeinsam mit Dietmar Ankly, einem weiteren Mieter der Hausgemeinschaft, dafür starkmacht, dass die Männer wieder ausziehen müssen. Ankly: "Wenn die noch in drei Wochen hier wohnen, bin ich bereit, diese Zwangssituation im Sinne der Familie rechtlich überprüfen zu lassen."

Die Verwaltung: Selbst Sozialdezernentin Angelika Birk weiß inzwischen von der Konfliktsituation. "Die Verwaltung sucht seit dem 6. Oktober nach einer besseren Lösung und muss die Betroffenen um einige Tage Geduld bitten", lässt sie auf Anfrage unserer Zeitung mitteilen. Bei einer von der Verwaltung angemieteten Gewährleistungswohnung (siehe Extra) wie dieser würden die Raumkapazitäten "etwas intensiver ausgenutzt, als es heutzutage beim Durchschnitt der Trierer Bevölkerung üblich ist". Nur bei unüberbrückbaren Konflikten müsse die Wohnungsbelegung verändert werden, wobei verschiedene Kriterien zu beachten seien. "Angehörige verfeindeter Staaten oder Bevölkerungsgruppen sollen zum Beispiel nicht zusammengelegt werden. Alleinstehende Frauen brauchen einen besonderen Schutz. Es gibt Beispiele, bei denen die Zusammenlegung nicht Verwandter verschiedenen Geschlechts bisher keine gravierenden Probleme auslöste."

Die Familie: Wie gravierend die Probleme im konkreten Fall sind, kann angesichts der geringen Sprachkenntnisse der aus der Nähe von Kundus stammenden Familie nur erahnt werden. Beim angemeldeten Besuch des TV-Redakteurs in der äußerst spartanisch eingerichteten Wohnung tragen Mutter und Tochter hochgeschlossene Wintermäntel und Kopftücher. "Wir haben nicht wirklich Angst", sagt die 17-jährige Tochter, die etwas Englisch spricht. "Aber wir sind gläubige Muslime. Wir dürfen als Frauen nicht mit fremden Männern zusammenleben."
Zwei Monate hatte die Flucht der Familie von Afghanistan durch den Iran, die Türkei, Ungarn, Serbien und Österreich nach Deutschland gedauert. "Hier sind die Menschen gut", sagt die junge Frau, die für ihre sehr zurückhaltend wirkenden Eltern übersetzt. "Zwei Wochen werden wir noch warten." Dann, so habe die Frau von der Stadt versprochen, würden die Männer wieder ausziehen.

Die Gesamtsituation: Ob angesichts der Größe der Wohnung dann andere zusätzlichen Bewohner vom Wohnungsamt zugewiesen werden, scheint offen. Sicher ist allerdings, dass die Knappheit von Sozialwohnungen auch dann in der Stadt Trier anhalten wird, wenn alle Unterkünfte in der Jägerkaserne und im Burgunderviertel fertig sind. Denn bis zum Jahresende werden weitere 500 erwachsene Flüchtlinge und Familien sowie zusätzlich einige Dutzend Minderjährige ohne Erwachsenenbegleitung unterzubringen sein.
Mietwohnungen alleine werden dafür bald nicht mehr ausreichen, wie die Stadtverwaltung auf TV-Anfrage bestätigt.
So sollen zum Beispiel auch ehemalige Klassenräume genutzt werden. Das Baudezernat erarbeite mit Hochdruck Konzepte, wie in unterschiedlichen Stadtteilen auf baureifen städtischen Flächen Geschosswohnungsbau für Flüchtlinge und andere Wohnungssuchende zur Verfügung gestellt werden könne. Das müsse "deutlich schneller als in bisherigen Umsetzungstechniken mit preisgünstigem, aber dennoch nachhaltigem Wohnraum" passieren. Sozialdezernentin Angela Birk und Baudezernent Andreas Ludwig seien zudem im Gespräch mit der Wohnungswirtschaft. Standorte will der Stadtvorstand erst nennen, wenn konkrete Ergebnisse vorliegen.Meinung

In der Not
Wer nur auf die Gesamtsituation schaut, verliert den Blick fürs Detail. Aus dieser Sichtweise ist es einfach zu dem Schluss zu kommen, dass angesichts der Wohnungsnot für Flüchtlinge Kompromisse möglich sein und toleriert werden müssen. Wenn aber der Blick auf den Einzelfall gelenkt wird, erhalten Probleme Relevanz, die vorher als solche nicht erkannt wurden. So ist es auch bei der vierköpfigen Familie aus Afghanistan. Im Grunde ist nachvollziehbar, dass eine 75 Quadratmeter große Wohnung mit vier Zimmern einer oder zwei Personen mehr Platz bieten kann und deshalb entsprechend belegt wird. Für streng gläubige Muslime ist es aber schlicht undenkbar, dass die eigene Frau oder die jugendliche Tochter mit fremden Männern in einer Wohnung lebt, in der es nicht einmal getrennte Toiletten oder Waschmöglichkeiten gibt. Umso schlimmer wird ein solcher Umstand, wenn die Männer ohne Vorankündigung und ohne Erklärung plötzlich in der Tür stehen. Da ist es gut, wenn im selben Haus Menschen leben, die sich nicht von Sprachproblemen abschrecken lassen und kümmern, die nachvollziehen können, welche moralischen und religiösen Werte in solchen Gewährleistungswohnungen über den Haufen geworfen werden. Angesichts der Wohnungsnot für Flüchtlinge verliert sich leicht der detaillierte Blick für die einzelnen Menschen. Aber Not macht erfinderisch. Der Stadtverwaltung ist dabei eine gute Hand zu wünschen. r.neubert@volksfreund.deExtra

Bei Gewährleistungswohnungen handelt es sich nach Aussage der Verwaltung um Wohnraum, den die Stadt anmietet und in die sie Bewohner einweist. Dabei würden die Raumkapazitäten etwas intensiver genutzt als für die normale Bevölkerung üblich. Allerdings müsse die Belegung ein dauerhaftes friedliches Zusammenleben aller Beteiligten ermöglichen. Die Dauer einer solchen Wohnsituation sei begrenzt. "Sobald sich der Bleiberechtsstatus verbessert, das heißt anerkannte Flüchtlinge Freizügigkeit in ganz Deutschland gewinnen oder schon vorher eine Wohnung finden, können sie die Gewährleistungswohnung verlassen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort