Zwei Rollis sind einer zu viel

Diskriminierung der Rollstuhlfahrer? In Trierer Stadtbussen darf künftig nur noch ein Rollstuhl pro Bus transportiert werden. Schuld daran ist eine EU-Verordnung. Behinderte gehen auf die Barrikaden.

Trier. Wenn Lydia Schäffer in Trier unterwegs ist, benutzt sie hin und wieder auch den Bus. Bisher war das auch kein Problem. Obwohl sie im Rollstuhl sitzt, hat sie immer einen Platz in einem der Stadtbusse bekommen. Darauf kann sich die 43-Jährige in Zukunft nicht mehr verlassen. Es kann ihr passieren, dass sie an der Haltestelle stehen gelassen wird. Nicht aus Böswilligkeit des Busfahrers. Schuld daran ist die EU. Genauer gesagt die Richtlinie 2001/85 EG. Sie regelt die Personenbeförderung in Bussen. Auch die Mitnahme von Rollstuhlfahrern und wie die Stellplätze für Rollstühle in Bussen beschaffen sein müssen, ist darin bürokratisch genau festgelegt. So wird beispielsweise verlangt, dass es eine gepolsterte Lehne gibt, die den Rollstuhl beim scharfen Bremsen vor dem Umkippen schützt. Außerdem wird vorgeschrieben, dass nur so viele Rollstuhlfahrer befördert werden, wie in der Zulassung festgelegt ist. Und genau darin liegt der Knackpunkt. Busse, die ab 2005 zugelassen wurden, dürfen nur noch einen Rollstuhl transportieren. 16 der insgesamt 74 Trierer Stadtbusse sind davon betroffen, ausgerechnet also die neuesten und modernsten. Laut Stadtwerke ist in diesen Bussen nur ein Rollstuhlfahrerplatz vorgesehen. Mehr würden künftig in diesen Fahrzeugen auch nicht mehr mitgenommen, sagt Stadtwerke-Sprecher Carsten Grasmück. "Wir können keinem Fahrer eine andere Anweisung geben, da er für einen Verstoß persönlich zur Verantwortung gezogen wird", sagt Grasmück. Und das kann für die Busfahrer in der Tat teuer werden. Denn laut Bußgeldkatalog sind bei Überschreiten der zugelassenen Beförderung Geldstrafen in Höhe von 50 Euro für den Fahrer und 75 Euro für den Halter, also die Verkehrsbetriebe fällig. Hinzu kommt jeweils ein Punkt in Flensburg. Und im Falle eines Unfalls wären Busfahrer und Halter haftbar. Heißt also: Wird in dem Bus bereits ein Rollstuhlfahrer transportiert, wird ein weiterer, der an der Haltestelle wartet, einfach stehen gelassen. "Das ist Diskriminierung", schimpft Lydia Schäffer. "Diese Regelung muss schnellstmöglich vom Tisch", sagt die im Trierer Behindertenforum Aktive, die seit über 20 Jahren im Rollstuhl sitzt. Sie will es darauf ankommen lassen. "Wenn ich deswegen mal an einer Haltestelle stehen gelassen werde, werde ich die Stadtwerke verklagen", kündigt die resolute Rollstuhlfahrerin an. Die EU-Vorschrift könnte übrigens nicht nur Behinderte betreffen. "Was ist, wenn ein Rollstuhl im Bus transportiert wird und jemand mit einem Kinderwagen zusteigen will?" fragt sich Schäffer. Andere Städte haben Fahrzeuge umgerüstet

In Hannover wurden 21 betroffenen Busse umgerüstet und so je zwei EU-konforme Plätze für Rollstühle geschaffen. 4000 Euro pro Fahrzeug hat die Umrüstung gekostet. Mittlerweile hat sich auch die Sozialministerin und Trierer-SPD-Vorsitzende Malu Dreyer eingeschaltet. Die Regelung sei ein "unhaltbarer Zustand", sagt Dreyer. Sie hat an Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee geschrieben. Er soll bei der EU vorsprechen und Schluss machen mit dieser Diskriminierung der Behinderten. Meinung Und was ist mit den Schülern? Wieder mal ein Beispiel dafür, dass aus Brüssel leider viel zu oft bürokratischer Müll kommt. Irgendwelche Theoretiker glauben, dass Rollstuhlfahrer eines besonderen Schutzes bedürfen, eines Schutzes, den die Betroffenen selbst nie eingefordert haben. Herausgekommen ist eine Vorschrift in Richtung Überbehütung. Mit der unsinnigen Richtlinie werden diejenigen, die geschützt werden sollen, diskriminiert. Und das ausgerechnet von den Bürokraten, die sich als oberste Anti-Diskriminierungs-Hüter aufspielen. Den Verkehrsbetrieben, wie den Stadtwerken, sind die Hände gebunden, halten sie sich nicht daran, droht eine saftige Geldstrafe. Das Ärgerliche an der Verordnung: Sind Rollstuhlfahrer eigentlich gefährdeter als etwa in überfüllten Bussen stehende Schüler? b.wientjes@volksfreund.de

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