Zwischen Tradition und Umbruch

MARIAHOF. "Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefasstes Neue...", rezitiert die Josefine Runte (89) Goethe aus dem Stegreif und gibt damit ein Stück ihrer Lebensphilosophie preis. 18 Jahre lang hat die studierte Altgermanistin und Romanistin das Trierer Auguste-Viktoria-Gymnasium (AVG) geleitet und sich mit ihrer Schulpolitik einen Namen gemacht.

Redegewandt, fast übersprudelnd und mit glasklarem, neugierig-freundlichem Blick sitzt Josefine Runte in Mariahof in ihrem Wohnzimmer. Vor ihr auf dem Tisch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ), die die 89-Jährige seit 1937 täglich liest. "Zum Abitur habe ich ein Abonnement geschenkt bekommen. Auch wenn ich im Ausland war, als Studentin, habe ich sie mir nachschicken lassen", erzählt Runte. Die regelmäßige Zeitungslektüre sowie "viel Wissenschaftliches" helfen ihr, "die Seelenkraft der Erinnerung zu schulen", so die interessierte Frau. Auszeichnung für progressive Schulpolitik

Doch nicht nur das Lesen und ihre sich anschließend selbst prüfenden Fragen nach dem, "was bleibt", treiben Josefine Runte unentwegt an, sondern auch die feste Überzeugung, dass jeder eine Meinung haben und sie zu erkennen geben sollte. "Man muss doch Farbe bekennen, damit jeder weiß, mit wem man es zu tun hat", sagt sie bestimmt. Als leitende Studienrätin am Trierer AVG hat sie sich in 18 Jahren nie gescheut, Stellung zu beziehen und zu ihrer Überzeugung zu stehen. Auch aufgrund ihrer progressiven Schulpolitik nahm das AVG in den 60er-Jahren als erstes Gymnasium erfolgreiche Realschulabsolventen auf und führte gleich drei ehemalige Realschulklassen weiter. Als "Schulleiterin zwischen Tradition und Umbruch" hat sie sich damit einen Namen gemacht und sich auf einer Geschichtstafel in ihrer ehemaligen Schule verewigt. Eine gerahmte Kopie hängt in ihrem Hausflur, die die weißhaarige, auch körperlich agile Dame nicht ohne Stolz zeigt. Noch heute hat Josefine Runte regelmäßig Kontakt zu ihrer Schule und wird stets zu Abiturfeiern, Ehemaligentreffen oder Schulfesten eingeladen. "Gerade lag wieder eine Einladung im Briefkasten", sagt Runte lächelnd und fügt hinzu: "Wenn die Feste außerhalb sind und ich nicht kommen kann, dann kommt hier eine kleine Abordnung vorbei." Erst die Menschen, dann die Autos

Auch wenn ihre aktive Zeit als Lehrerin für Deutsch und Französisch "in einem guten Kollegium mit Verständnis über Generationen hinweg" vorbei ist, liegen Josefine Runte nach wie vor Jugendarbeit und Sozialdienst, gerade in ihrem Stadtteil Mariahof, am Herzen. "Eine gut ausgebildete Jugend ist wichtig und die Erkenntnis, dass Schweiß vor den Preis gesetzt ist", so die Pädagogin. Auch zu aktuellen Themen wie der umstrittenen Unterführung zwischen Porta Nigra und Paulinstraße, zu deren entschiedensten Gegnern sie damals als Stadtratsmitglied gehörte, hat sie eine Meinung. "Ich habe damals schon gesagt: Die Menschen buddeln wir ein, die Autos lassen wir oben fahren."

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