Brunnen am Ohr

Entschuldigung, Sie haben da einen Brunnen am Ohr hängen", rufen mir derzeit dicke weiße Buchstaben auf blauem Hintergrund von der Plakatwand um die Ecke entgegen, und: "Moment bitte, Sie haben sich mit Schulbüchern eingecremt!

" Das Kleingedruckte am unteren Rand gibt Aufschluss: Eine Hilfsorganisation sucht nach Paten für Kinder in armen Ländern. Prinzipiell eine gute Sache.Doch was soll der Versuch, mir ein schlechtes Gewissen einzureden? Was spricht dagegen, sich an Schmuck zu freuen? Und soll ich wirklich mit spröder Haut herumlaufen?Ausgaben in einem reichen Land gegen das aufzurechnen, was man in anderen Teilen der Welt damit bewirken könnte, ist naiv und unlauter. Dann dürften wir in letzter Konsequenz auch nicht mehr ins Kino gehen, keine Markenkleidung kaufen und müssten Wasser statt Wein trinken. Was aber würde das wohl für unsere Wirtschaft bedeuten? Ärgerlich, dass die aggressive Kampagne auf den Plakat-Wänden wohl nicht nur bei mir eine Abwehr-Haltung provoziert und so den vielen Hilfsorganisationen schadet, die seriöse und leise Töne wählen, um auf ihre wichtige Arbeit aufmerksam zu machen. Denen zu helfen, die es weniger gut getroffen haben, ist Ehrensache. Doch wer mein Geld will, muss mich mit Inhalten überzeugen. Ginge es nach mir, könnte sich die Hilfsorganisation mit den weiß-blauen Plakaten die Brunnen, die angeblich an meinem Ohr hängen, jedenfalls an den Hut stecken.

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