Der gläserne Professor

Man muss mit der Zeit gehen, sage ich ja immer. Deshalb hab ich mir jetzt auch einen Internet-Computer angeschafft. Und ich muss sagen: Toll! Unglaublich, was man da alles findet. Gibt man beim Suchdienst Google "Trier" ein, kann man sich zwei Millionen Seiten dazu anzeigen lassen.

Bei "Viez" sind's immerhin noch über 25 000. Bei "Porz" wird man sogar weitergeleitet nach Köln, wo's einen Stadtteil gibt, der offenbar nach dem in Trier erfundenen Viez-Porzellangefäß benannt ist. Richtig gestaunt hab ich aber beim Rumstöbern auf der Homepage der Trierer Fachhochschule: Jeder Professor kann sich da eine für jedermann zugängliche Seite einrichten. Und der Professor B. packt richtig aus. Ich weiß jetzt zum Beispiel, dass die Familie B. an Heiligabend 2005 und 2006 Raclette gegessen hat. Dazu gab's Stubbis und Mayonnaise aus dem Discounter. Und am ersten Weihnachtstag 2006 hat der Professor um 17 Uhr einen Johnny-Cash-Film angeguckt. Woher ich das weiß? Steht alles in seinem Internet-Tagebuch, inklusive hunderter Familienfotos. Zu sehen sind auch exakte Grundrisse seines Wintergartens, in dem er anno 2002 als ersten Gast einen Dr. jur. empfangen hat, dessen Namen ich hier nicht nennen will. Vielleicht weiß der ja gar nichts von seiner öffentlichen Zurschaustellung. Auf der frei zugänglichen Seite ist übrigens noch viel Intimeres über die Familie B. zu lesen, aber da decke ich an dieser Stelle lieber den Mantel des Schweigens drüber.Jetzt könnte man sagen: Was regt sich der Jupp denn da so auf? Ist schließlich die Entscheidung des Professors, wie viel er von sich erzählt. Richtig. Aber man darf sich ja wohl noch wundern, welch überaus detaillierte Informationen der Herr Professor von sich und seiner Familie über die offizielle Hochschul-Seite praktisch jedem zugänglich macht - nur zwanzig Jahre nach der letzten Volkszählung, die beinahe am Protest der Bürger gescheitert wäre. Vonwegen gläserner Mensch und so. Dabei wollten die damals - ganz anonym - "nur" so Sachen wissen, wie viele Leute im Haushalt wohnen und so. Tja. So rasant ändern sich eben die Zeiten.

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