Die Milch und die Fee

Siedendheiß ist mir dieser Tage auf dem Nachhauseweg eingefallen, dass ich noch etwas einkaufen muss. Wie heißt es so schön: Milch macht müde Männer munter. Ich fahre also zum Supermarkt, renne zum Kühlregal, schnappe mir eine Milchtüte und flitze zur Kasse.

Die missmutige Kassiererin - vermutlich denkt sie schon an ihren Feierabend - hämmert mit ihren Fingern auf die Tasten, schaut mich an und sagt: "99 Cent bitte." Gut gelaunt wie immer greife ich in die Hosentasche - und kriege einen gewaltigen Schreck: Da ist nichts! Verflixt, denke ich, wo ist mein Portemonnaie? Mir wird heiß. Ist das peinlich! Plötzlich fällt es mir ein: Die Börse schlummert selig in meiner Sporttasche. Darin habe ich sie am Vorabend versteckt, damit sie mir im Squashcenter keiner klaut. Die Kassiererin wird ungeduldig, ich murmele "Äh, Moment" und wühle verzweifelt in meinen Hosen- und Jackentaschen. Irgendwo muss doch noch ein Euro stecken! Es klimpert aber nichts. Gerade will ich eingestehen, ein Trottel zu sein, da geschieht ein kleines Wunder. Die Dame, die vor mir dran war, streckt ihre Hand vor, reicht der Kassiererin einen Euro und sagt: "Bitte schön." Mir steht vor Staunen der Mund offen, ich bringe kein Wort heraus. Schwups, schon ist die gute Fee verschwunden. Wahrscheinlich bin ich jetzt rot wie die untergehende Abendsonne, aber das ist mir egal. Ich nehme die Milchtüte, rase raus, um mich zu bedanken - aber die Fee ist weg. In Erinnerung bleiben mir zwei wunderschöne braune Augen und die Erkenntnis, dass es noch nette Menschen auf dieser Welt gibt.Frank Giarra Unterhaltung am Frühstückstisch: In der neuen TV-Kolumne "Guten Morgen" berichten wechselnde Autoren von alltäglichen Begebenheiten.

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