Ihr Anschlusszug konnte leider nicht mehr warten... - Gedanken zur Situation des Trierer Theaters

Verspätete Bereitstellung, Personenschaden, Technischer Defekt oder vielleicht doch eine Signalstörung oder gar von allem etwas? Da stehen sie, die (Kultur-)Politiker wie die Kulturschaffenden auf dem Bahnsteig ihres beschaulichen Kulturbahnhofs - übrigens nicht nur in Trier - und fragen sich verwundert: wie konnte es nur so weit kommen? Wie ist es möglich, daß wir den Anschluss zu verpassen drohen? Die Ursachen sind, das liegt in der Natur von Verspätungen, nicht im Hier und Jetzt, sondern in der Vergangenheit zu suchen.

 Das Trierer Theater. TV-Foto: Archiv/Friedemann Vetter

Das Trierer Theater. TV-Foto: Archiv/Friedemann Vetter

Verspätete Bereitstellung. Die exorbitanten Schulden der Stadt Trier sind weder über Nacht entstanden, noch werden wir es erleben, daß sie sich zu unseren Lebzeiten signifikant verringern werden. Die finanziell angespannte Lage des Trierer Theaters, der marode Bau sind in der Vergangenheit immer wieder virulente Themen gewesen. Der enorme gesellschaftliche Wandel durch Digitalisierung, wie die anhaltenden wirtschaftlichen Probleme sind jedoch weitgehend nicht erkannt bzw. ignoriert worden. Es wurde über mindestens zehn Jahre versäumt strahlkräftige und dauerhafte kulturelle, wirtschaftliche und politische Netzwerke in der Stadt aber auch über ihre Grenzen hinaus in dieser an Kultur so überreichen Region zu entwickeln und zu etablieren. Hier ist Trier kein Einzelfall.

Personenschaden. Die eingangs beschriebene Gemengelage, setzt das Theater nun unter einen enormen Rechtfertigungsdruck. Der gesellschaftliche Konsens darüber, die öffentlichen Mittel für Kultur und hier insbesondere die für die klassischen Intermediäre, den Theatern und Museen, unangetastet zu lassen, ist dramatisch geschwunden. Spätestens nach dem zweimaligen Aus der Antikenfestspiele war der durch die verantwortlichen Personen verursachte materielle und der Imageschaden für die öffentlich geförderte Trierer Kultur so immens, dass es dringend eines personellen und programmatischen Neustarts bedurft hätte. Aber es wurde mit nahezu den identischen Hauptdarstellern weitergewurstelt. Zielvereinbarungen, die für alle Seiten messbar sind, Pläne welche Zukunft dieses Theater hat und welche man ihm geben möchte? - Fehlanzeige!

Technischer Defekt. Es nimmt Wunder, dass das Dezernat für Wirtschaft, Tourismus, Kultur, Sicherheit und Ordnung zwar ein Kulturleitbild 2025 entwickeln kann, es seinem Dezernenten Thomas Egger in dreijähriger Amtszeit wegen erheblicher bürokratischer Hürden aber bis heute nicht gelungen ist, das Theater Trier auch nur ansatzweise in eine neue Rechtsform zu überführen. Diese würde dem Drei-Sparten-Haus helfen betriebswirtschaftlicher zu agieren, schlanke und effiziente Verwaltungs- und Marketingstrukturen aufzubauen. Gerade auch in diesem Themenkomplex wäre eine Theaterleitung gefordert, Ziele zu formulieren und diese aktiv nach außen und vor allen Dingen auch in die Institution hinein zu kommunizieren, so dass möglichst viele Menschen an einem Strang ziehen.
Agieren ist eines der Kerngeschäfte von uns Theatermenschen. In der Hoffnung, dass bitte alles wieder gut wird, wenn wir die durch die Politik auferlegten strengen Sparvorgaben einhalten, sehe ich jedoch meist nur angstvolles Reagieren. Ein Intendant, der vor laufender Kamera verkündet "so wie bisher das Theater in der Stadt organisiert ist, gibt es dazu für mich keine Alternative", muss sich die Frage gefallen lassen, ob er mit dieser Haltung nicht einen status quo zementiert, der keinerlei Raum lässt, um über eine neue Formen des Stadttheaters nachzudenken. So verwalten Experten ihr Expertentum und der Theaterzug wird - wie Haselbachs Gutachten ja auch konstatiert - auf freier Strecke liegenbleiben.

Signalstörung. Das Kulturleitbild 2025 der Unesco-Weltkulturerbe-Stadt Trier, das für die angestammten traditionsreichen Kulturinstitutionen kaum mehr als eine diffuse Absage an deren "Bestandsgarantie" beinhaltet, greift nach meinem Dafürhalten zu kurz. Bei allen guten Ideen, die es auch enthält.
Wo sind Vorschläge und Visionen für ein Viel-Sparten-Haus, welches auch neue Räume für die freie Szene und die reiche Trierer Musikszene erschließt. Ein wirkliches Forum, das viel aktiver und zeitgemäßer als bisher Kultur vermittelt; vielleicht eines, das im Verbund mit Bürgern, Wirtschaft und Kulturschaffenden, ökonomisch und auch ökologisch zukunftsweisend sein kann.
Die laut werdenden Forderungen nach Kooperationen oder Schließung einzelner Sparten lassen wesentliche Gesichtspunkte außer Acht:
- Beständig steigende Kosten für Energie werden auch die Mobilität verteuern. Eine Kommune wird sich zukünftig glücklich schätzen eine Institution mit festen Mitarbeitern vor Ort zu haben, die ein breites und vielleicht sogar noch zu verbreiterndes Spektrum an Kulturangeboten gewährleisten kann. Das Stadttheater der Zukunft sieht in seiner Ausprägung und all seinen Spielarten vielleicht anders aus. Aber es wird in einer Stadt von der geographischen Lage, Größe und Ausprägung Triers ein Ort sein, um das Bewusstsein für (die eigene) Kultur anzuregen und zu stärken - eine wirkliche Begegnungsstätte.
- Große Eingriffe in die Strukturen, z. B. Schließung einzelner auch größerer Sparten werden den Stadthaushalt nicht wirklich entlasten. Die öffentliche Zuwendung für ein Theater subventioniert eben nicht die Theaterkarte, sondern stellt das Einkommen von mehr als 200 Mitarbeiterinnen eines städtischen Betriebes, dem Theater Trier, sicher. Diese Menschen leben in dieser Stadt, zahlen Steuern, Mieten, geben ihr Geld in dieser Stadt wieder aus. So etwas nennt man Umwegrentabilität. Man kann diese Stellen durch Spartenschließungen im kleinen oder großen Stile natürlich einsparen, nur sollte sich ein Wirtschaftsdezernent auch darüber im Klaren sein, dass er seine Ersparnisse über kurz oder lang der Dezernentin für Soziales wird abtreten müssen. Ja, Kultur kostet Geld, aber eine Unkultur noch viel mehr.
- Last but not least - die Mitarbeiter tragen durch ihre Verwurzelung in der Stadt und dem Kontakt zu den Menschen, dem Publikum, wesentlich zur Ausprägung eines profilierten Theaters bei. Hier ist ausdrücklich zu anzuerkennen, dass das Theater Trier allen Sparzwängen zum Trotz in den letzten Jahren deutliche Anstrengungen unternommen hat, verlorenes Terrain zurück zu gewinnen bzw. nach neuen Zuschauerschichten Ausschau zu halten (Projekte wie Jugendclub, Familienkonzerte, Kinderbetreuung, 60+, Theatertag, Internet-Auftritt, etc.). Dennoch beschleicht mich Unbehagen. Dem neuen Spielzeitheft steht als erstes ein bedeutendes Zitat unseres Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizäcker voran, das von uns Theaterschaffenden in diesen Zeiten knapper öffentlicher Mittel sehr gerne und sehr viel zitiert wird und das durch seine inflationäre Verwendung von uns - mit Verlaub - entwertet wird. Wenn in den folgenden persönlichen Vorworten des Intendanten Gerhard Weber im Schulterschluss mit der Verwaltungsdirektorin zu lesen ist, man habe die Sparvorgaben bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung, ja, Erweiterung des Spielplans um sozio-kulturelle Angebote, erfüllt, legt das zwei fatale Schlüsse nahe:
1) Bei gleichbleibender oder sogar schrumpfender personeller Aufstellung, haben wir unseren Mitarbeitern noch mehr Engagement und Einsatz abverlangt.
2) Wir haben die Sparauflagen erfüllt und möchten nun bitte wieder in unserem Elfenbeinturm zurückkehren dürfen.

Fahrplanänderung. "Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche". Im Sinne von Gustav Mahlers Worten vermisse ich in der Trierer Debatte auf kulturpolitischer wie auch auf künstlerischer Seite Ideen und Konzepte, die über das immer gleiche Thema "Schutz für bedrohte Arten" mit all seinen Variationen hinausgehen. Wo ist eine Theaterleitung, deren vornehmstes Ziel es ist, ein Haus vorausschauend so aufzustellen und im Bewusstsein einer Stadt zu verankern, dass Debatten, ob sich eine Weltkulturerbe-Stadt ein Theater leisten kann, obsolet werden? Wo sind Institutionsleiter, die rechtzeitig einen Qualitätsdiskurs darüber führen, wohin man mit welchen Mitteln gehen möchte? Die Kulturinstitutionen müssen diese Veränderungen wollen und von sich aus diese Diskussion anstoßen. Anregende Beispiele dafür finden sich allerorten:Ein kreativer Wirbelwind wie Karl Sibelius zeigt im kleinen Eggenfelden wie man mit Mini-Etat und bei einer Eigenwirtschaftlichkeit von rund 36% höchst kreatives Theater in drei Sparten macht.In Luzern entwickeln Kanton und Stadt spannende Konzepte für ein völlig neues Modell von Stadttheater.An der Opéra Lyon führt Serge Dorny seit zehn Jahren exemplarisch vor, wie man aus einem elitären Musentempel einen der lebendigsten Orte der Stadt machen kann und was es heißt, sich tief in die Stadt hinein zu vernetzen. Visionär und nachhaltig setzt er die Teilhabe an kultureller Bildung für möglichst weite Teile der Bevölkerung um. Sein Haus ist eine Begegnungsstätte für jung und alt, arm und reich, für Opernfans und Breakdancer, Spießbürger und Trendsetter geworden und die Spielpläne sind alles andere als künstlerisch beliebig oder anspruchslos.
Für alle diese Beispiele aber braucht es Hingabe, Engagement und Verpflichtung zu wirklicher Teamarbeit. Man benötigt ein tiefes Verständnis dafür, welches Konzept für eine Stadt und die Bevölkerung am besten passt. Ist dieser grundlegende Fahrplan entwickelt, bedarf es in einer Welt wie der unseren, stetiger Anpassung und Weiterentwicklung. Wir Kulturschaffenden müssen endlich begreifen, daß wir ein winziges Mosaiksteinchen in einer heute schier unendlich geworden Welt der Freizeitgestaltung worden sind. Das Fernsehen, ein Kinobesuch, das E-book, ein Sportevent, der Computer, ein gemütlicher Abend mit Freunden, das Fitness-Studio oder Faulenzen auf der Couch, aber auch finanzielle Nöte können Gründe sein, die potentielle Theaterbesucher davon abhalten, zu uns zu kommen.

Machen wir Kulturschaffenden uns also die Mühe und verändern unsere Betrachterperspektive nur ein kleines Stückchen in Richtung unserer so divers gewordenen Publika. Akzeptieren wir, daß nur 0,00004% aller Informationen unser Bewusstsein wirklich erreichen und somit Entscheidungsprozesse bezüglich der Freizeitgestaltung heute immer häufiger sehr kurzfristig gemacht werden. Werben wir dementsprechend bewusst und lautstark für das Theater als einen Ort in dem man gemeinsam mit Menschen jedweder Herkunft nicht nur virtuell, sondern "live und in Farbe" die ganze Bandbreite echter Emotionen er- und durchleben kann. Und hören wir endlich auf, Forderungen nach Veränderung immer nur als Zumutung zu sehen, sondern ergreifen wir sie vielmehr als von uns zu gestaltende Chance. Machen doch bitte wir einmal den ersten Schritt und entwickeln Spielpläne und Thesenpapiere, deren erster Zweck es nicht ist, sich für höhere Aufgaben zu empfehlen oder dramaturgische Steckenpferde zu reiten und die eine längere Halbwertszeit als maximal eine Intendanz haben. Richten wir unser Augenmerk lieber darauf, welche Formen von Kulturinstitutionen, Angeboten und Spielplänen die Bürger einer Stadt wie Trier benötigen, um ein Stadttheater als lebens- und erhaltenswerten urbanen Raum zu erfahren. Nur so werden wir es schaffen Kulturpolitik wieder zum Anwalt unserer Sache zu machen.
Ich bin mir sicher, daß die Stadt Trier mit ihrem ungeheuer vielfältigem Potential, dann nicht nur nicht dem verpassten Anschlusszug hinterher schauen wird, sondern viel mehr aktiv dazu beiträgt, Kultur zum Nährboden für eine intakte Gesellschaft zu machen.

Tobias Scharfenberger, Opern- und Konzertsänger, seit 2012 Studium "Executive Master in Arts Administration" im Weiterbildungsprogramm der Universität Zürich.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort