Reumütige Rückkehr

Das war's. Die Zeit der Experimente ist vorbei. Der Bart ist wieder dran. Das Weltbild stimmt wieder. Beziehungsweise das Bild, das die Welt sich von einem macht. Es war eine spannende Erfahrung.

Weniger wegen dem, was zum Vorschein kam, als die Haare ab waren. Eher wegen der Reaktion der Mitmenschen.

Sollte es jemanden geben, der unter mangelnder Kommunikation leidet, der nie angesprochen wird, sich als Mauerblümchen fühlt: Einfach mal den Bart abnehmen. Oder, falls nicht vorhanden, einen wachsen lassen. Und schon hat man rund um die Uhr Gespräche. Keine Party, kein Konzertbesuch, kein Supermarkt-Einkauf, kein Fußballspiel, keine Sitzung ohne Dialoge über die Gesichts tracht. Selbst zurückhaltendste Zeitgenossen lockt eine solche Veränderung zu wagemutigen Meinungsäußerungen.

Übrigens zu absolut gegensätzlichen. "Das wurde aber auch mal Zeit", tönt es euphorisch über die Wurst-Theke. "Da werde ich mich nie dran gewöhnen", raunt es skeptisch vom benachbarten Theater-Sessel. Fifty-fifty ist das Meinungsbild - eine Statistik, die sich freilich relativiert, wenn man all jene einrechnet, die erst angesichts der neu sprießenden Manneszierde bekennen, dass sie deren Besitzer "eigentlich von Anfang an" mit Bart bevorzugten. Das wäre alles noch kein Grund, nach einem halben Jahr reumütig in den Kreis der Bartträger zurückzukehren. Eher schon der ständige Kampf mit der Hautreizung am Rande der Bart-Zone, deren Spuren mein geübtes Auge inzwischen auch bei vielen glattrasierten Geschlechtsgenossen entdeckt.

Aber das entscheidende Argument lieferte ein mathematisch begabter Internet-Blogger. Der rechnete nämlich vor, dass ein Mann, der sich sechs Mal wöchentlich jeweils zehn Minuten rasiert, vom 50. bis zum 75. Lebensjahr geschlagene 1300 Stunden seines Lebens schabenderweise vor dem Spiegel zubringt. Macht summa summarum 400 tolle Opern-Abende. Oder 850 spannende Fußball-Live-Übertragungen. Oder 200 TGV-Fahrten nach Paris, hin und zurück. Oder so viel, wie man braucht, um 1000 Kolumnen zu schreiben. Was aber nicht als Drohung verstanden werden soll.

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