ZUM ADVENT

Nächste Woche kommt die neue Einbauküche. Pünktlich zur Weihnachtszeit besitze ich dann endlich wieder einen Backofen - die Eintrittskarte in die Welt der Weihnachtsbäckerei und damit der vollendeten häuslichen Glückseligkeit.

Ach, wie schön wird alles sein: Die geschmackvoll geschmückte Wohnung wird heimelig nach Vanille (natürlich echter, aus der Schote) und Zimt (natürlich ungiftigem, aus Ceylon) duften. Die erste Bienenwachskerze des Adventskranz', den ich morgen selbst binden werde, brennt. Ich stehe - nachdem ich früh am Morgen in der frischen Luft joggen war - in meiner neuen, glänzenden Küche, rühre die Butter schaumig, trenne Eigelb von Eiweiß und drücke Himbeermarmelade durch ein Sieb, damit keine kleinen Kerne später den Plätzchengenuss stören. Hätte ich Kinder, sie säßen mit roten Bäckchen und hochgekrempelten Ärmeln am Tisch und formten Sterne und Engel aus Mutters feinem Mürbeteig. Ganz wie im Fernsehen. In Wahrheit mag ich dekorierte Wohnungen nicht und finde die Idee, ein warmes Bett zum Joggen in frischer Luft zu verlassen, absurd. Und ich habe es auch noch nie geschafft, pünktlich zum 1. Advent einen Kranz zu binden. Meine Plätzchenbackversuche werden - trotz neuer Küche - enden wie immer: Der Teig zerfließt entweder unter meinen Ausstechförmchen oder geht - wie mit Pattex angeklebt - eine unauflösbare Symbiose mit dem Küchentisch ein. Spätestens nach einer Stunde strebt meine Laune gegen null und Teigausrollen kommt mir vor wie Sträflingsarbeit. Das Ergebnis wird nicht aussehen wie Fernseh-Kekse, sondern undefinierbare Formen und schwarze Ränder haben. Trotzdem wird mir mein Über-Ich wohl auch im nächsten Jahr wieder befehlen: "Backe Plätzchen! Jetzt!" Und ich werde - im Wahn nach kitschiger Weihnachtsharmonie allüberall - Folge leisten. Seltsam, oder? Christiane Wolff

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