Zweierlei Maß
Alle sechs Sekunden wird ein Mensch mit AIDS infiziert, alle zehn Sekunden stirbt eine Person an dieser Krankheit, am Tag über 7000 - das ist (der TV erinnerte daran) mehr als die doppelte Zahl der Opfer des 11. September.
Wen aber interessiert das wirklich, wen rüttelt es auf, welche Kräfte mobilisieren diese Toten? Im Bistum Trier beginnt heute eine Informations- und Aufklärungskampagne. Im Rahmen der Initiative "Aktionsbündnis gegen AIDS" wird der Blick besonders auf Afrika gelenkt, wo etwa 30 Millionen HIV-Infizierte leben. Eine Informationskampagne zu AIDS in unserem Land, wo doch Krankheit und Gesundheit - zumindest die eigene - in aller Munde sind? Krankheit scheint ja geradezu das Lieblingsthema der Menschen hierzulande zu sein. Folgt man jedenfalls Gesprächen im Bus, in Gaststätten, in lockerer Gesprächsrunde, achtet man auf die Werbung in den Medien, legt sich der Schluss nahe, dass Deutschland ein zutiefst von Krankheiten aller Art geprägtes Land ist. Das ganze Leben wirkt weitgehend pathologisiert, und das, obwohl die Wellness-Welle übers Land schwappt, die Bücherregale überquellen von Gesundheitsratgebern und so viel Geld wie nie zuvor im so genannten Gesundheitswesen ausgegeben wird. Informationskampagne also: AIDS ist besonders in Afrika die Seuche schlechthin. Männer infizieren sich - häufig leben sie wegen der Arbeit wochenlang von ihren Familien getrennt. Die (Ehe-)Frauen haben - himmelweit entfernt vom Recht auf sexuelle Selbstbestimmung - faktisch keine Chance, sich gegen die Ansteckung zu schützen, die Kinder werden schon infiziert geboren. Medikamente sind unerschwinglich teuer, das gesamte Familieneinkommen reicht nicht zum Kauf. So bleibt betroffenen Frauen vielfach nur der Weg in die Prostitution, um das notwendige Geld zu beschaffen - der Teufelskreis der Ansteckung und des Elends geht weiter. Aber wen interessiert das wirklich? Haben wir doch im Moment mit monatlich 3,33 Euro Praxisgebühr ganz andere Probleme. Ingrid Müller, Pastoralreferentin in Trier