guten_morgen_06.07_kah

Ich habe schon über Liebe im Freien geschrieben. Das schien mich in den Augen einer Kollegin dafür zu qualifizieren, zum Tag des Kusses etwas übers Küssen zu schreiben. Dummerweise ist das Erste, woran ich dabei denken muss: Nacktschnecken.

Das hat mit einer Erfahrung zu tun, die ich als 13-Jährige hinter dem Sanitärhaus eines bretonischen Campingplatzes machen musste. Schuld ist Jean-Marie. Er war schon 15 - also wahnsinnig erwachsen. Wenn auch noch nicht ganz fertig. Denn er schien gerade einen Wachstumsschub hinter sich zu haben, der ausschließlich in die Arme gegangen war. Seine Hände baumelten knapp neben seinen knochigen Knien, was das Händchen-Halten sehr erschwerte. Wenn wir zwischen dem Karnickel-in-den-Dünen-Jagen, Tischtennis-Rundlaufen und Sandburgen-Bauen Zeit fanden, übten wir. An einem staubig heißen Nachmittag schien Jean Marie schließlich hinter dem aus Kalksteinen gebauten Toilettenhaus der richtige Platz zu sein, mich in ein Geheimnis einzuführen: den Zungenkuss. Dass Menschen sich küssen, wusste ich. Mehr aber auch nicht. Plötzlich, völlig unvorbereitet, hatte ich seine Zunge im Mund. Und sie war voller Spucke.Ich dachte verschreckt an Schnecken, sprang zurück, wischte mir den Mund ab, sagte "ça suffit" (das reicht) und lief weg. Niemand hatte mir jemals gesagt, dass so was toll sein soll. Und von alleine kam ich da nicht drauf. Schon kurz darauf setzte meine Sozialisierung ein: "Rouler une pelle" - "eine Schaufel rollen", wie meine französischen Freundinnen den Zungenkuss nannten - wurde zu unserem Lieblingsthema. Sie erklärten mir, wie's geht: Zahnspange raus, die Lippen leicht öffnen, die Zunge im Mund des Jungen drehen, rechts- oder linksrum ist egal, nur auf keinen Fall sabbern. Und dann: genießen. Jean-Marie reiste bald ab, ungeknutscht. Doch schon bei Guillaume konnte ich es kaum erwarten. Denn nun wusste ich, wie ich mich zu fühlen hatte.

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