guten_morgen_1206

Rituale bestimmen den Alltag und geben Halt. Das ist nicht zu Unrecht eine grundlegende Erkenntnis der Psychologie. In manchen Fällen entwickeln sich aber auch täglich sich wiederholende Handgriffe und Tagesabläufe zu Ritualen, denen nur schwer zu entkommen ist.

Wer Kinder im schulpflichtigen Alter hat oder berufstätig ist und seinen Filius oder seine Tochter zum Zeitpunkt X in den Kindergarten gebracht haben muss, weiß davon ein Lied zu singen: Früh aufstehen, Körperpflege, Kinder wecken, Frühstückstisch decken, Tee kochen, Pausenbrote machen, Trinkflaschen füllen, Kinder noch einmal daran erinnern, dass es Zeit zum Aufstehen ist, und so weiter…Die Zeitung will beim kurzen Frühstücken natürlich auch noch zumindest überflogen sein, bevor Zähne putzen, Anziehen und Verabschiedung beziehungsweise der gemeinsame Weg zum Kindergarten anstehen. Viel echte Zeit für die Kinder bleibt dabei nicht. Was besonders bedauerlich ist, wenn man das Pech hat, in einem Beruf zu arbeiten, der einen in der Regel bis in die Abendstunden an das Büro bindet. Nun steht in schlauen Büchern, dass es für das Vater-Sohn-Verhältnis nicht unbedingt auf die Dauer der gemeinsam erlebten Zeit ankommt, sondern auf die Intensität. Was das bedeutet, habe ich vor einigen Tagen erlebt, als mein jüngster schon am Abend zuvor ankündigte: "Papa, morgen früh bauen wir aber ein Lego-Flugzeug?!" Am nächsten Morgen war Leo in der Tat früher wach als sonst, zwar nur 15 Minuten, aber immerhin. Mein Zögern, ob das Fliegerprojekt sich angesichts des knappen Zeitbudgets noch realisieren lässt, konterte er mit einem unmissverständlichen "du hast es aber versprochen!!!"Nun, es wurde nicht das schönste Fluggerät, und die Zeitung musste an diesem Tag ungelesen auf dem Frühstückstisch liegen bleiben. Aber mein Kleiner strahlte übers ganze Gesicht: "Papa, du bist der beste Fliegerbauer der Welt, und das ist heute ein ganz toller Tag." Für mich war es in jedem Fall ein wirklich guter Morgen.

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