guten_morgen_kah

Neulich stand ich hinter einem blonden Jungen an einer Eistheke und es wurde mir bewusst: Fußball ist heute wichtiger als Pflanzenkunde. Da geriet ich ins Grübeln. Wie konnte das nur passieren? Pflanzen sind doch so wichtig für die Menschen: Sie essen sie, machen daraus Medizin, Bier und Biogas, kippen Schnaps darüber, bauen Häuser damit und brauchen sie, um sich ineinander verliebt zu machen.

Außerdem kann sonst niemand so schön Photosynthese betreiben. Und die Bienchen… Aber Fußball? Während ich mit meinem Eis schon wieder auf dem Weg zurück in die Redaktion war, grübelte ich weiter. Damals, als ich mir nach der Grundschule neben Esspapier und roten Schnüren dieses quietschegrüne Wassereis kaufte, hätte ich es besser gewusst als der blonde Junge vor mir an der Eistheke? Hätte ich etwas gewusst über eine Pflanze namens "Galium odoratum", mit kriechendem Rhizom und dem Cumarin, das sie so aromatisch macht? Hätte ich überhaupt nur geahnt, dass dieses Eis etwas mit einer Pflanze zu tun haben könnte? Dieser Junge sah einem Mädchen ungeduldig beim Bestellen zu, hüpfte von einem Bein aufs andere und kletterte schließlich auf das schmale Stück der Marmortheke, das auf der Seite der Kunden überstand. Dort oben knieend sagte er, ohne den Blick vom Eis abzuwenden, zur Frau hinter der Theke: "Ein Bällchen Zitrone und ein Bällchen Weltmeister!" Die Frau sah auf. Unsere Blicke trafen sich. "Waldmeister?", fragte sie amüsiert. Er reagierte nicht. Weltmeister, Waldmeister. Dass das, was meinem Eis nach der Grundschule den Namen gab, eine Pflanze war, hätte ich auch nicht gewusst. Vielleicht war schon damals Fußball wichtiger als Pflanzenkunde. Nur war Deutschland da noch kein Sommermärchen.

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