guten_morgen_mc_1707

Ich bin ein Stadtkind. Mistgabeln, Hacken oder gar Traktoren habe ich vor allem in Büchern kennen gelernt. Statt auf einer Wildwiese spielten wir auf dem Asphalt unserer Vorortstraße, und geklettert wurde auf Turngeräten auf dem Spielplatz, nicht auf uralten Eichen im Wald - ok, Letzteres hätte ich mich eh nicht getraut.

Insofern ist jeder Besuch bei den Eltern einer Freundin ein Aha-Erlebnis: Das sind noch richtige Landwirte mit Hof, Traktor, Feldern. Und Tieren. Neulich durften wir mitanpacken: Die Rinder des Betriebs mussten umgetrieben werden. Von der mittlerweile völlig kahl gefressenen Wiese im Wald zu einem etwa 100 Meter entfernten Nachbargrundstück; es lockt sattgrünes Gras, ein Paradies für hungrige Pflanzenfresser. Die Freundin, immerhin Bauerstochter, schaut an sich herunter. Ob nicht der Bulle unter den Rindern etwas an ihrem roten Hemd auszusetzen habe? In mir zückt der Spanier bereits das Torero-Tuch zur Abwehr, der Blick des Vaters verrät hingegen Belustigung. Nein, die Farbe reize nicht. Es geht los: Ich bekomme einen zwei Meter langen Stab in die Hände gedrückt: "Du musst aufpassen, dass sie nicht kurz vor dem Ziel den Weg verlassen", werde ich vom Vater ermahnt. Wenig später ein Ruf, "sie kommen". Sechs fast springende Vierfüßer kommen den Weg heruntergerannt. Sehr schnell. Zuvor hatte ich den Vater der Freundin noch gefragt: "Wenn die Viecher auf mich zurasen und nicht Halt machen, springe ich doch klugerweise zur Seite, oder?" Der Torero in mir verzieht die Miene, aber ich hab ja Frau und Kinder. "Du bleibst da stehen", bekomme ich zu hören. Na gut.Am Ende klappt doch alles reibungslos. Der hocherhobene Stab tut seine Wirkung, der Zauber des nahen Grases den Rest. Ein großer Spaß für ein großes Stadtkind. "Ausnahme", sagt die Freundin, "beim letzten Mal sind alle Tiere weggelaufen, bis in die umliegenen Dörfer. Wir haben sie den ganzen Tag zusammensuchen müssen."

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