Die Stadt in der Stadt

Ludwigshafen/Trier · Halb so viel Verkaufsfläche wie der Rest der Stadt, 130 Geschäfte mit luxuriösen Marken und 1400 Parkplätze: Auch wenn die Städte Trier und Ludwigshafen nicht vergleichbar sind, hat sich der TV ein ECE-Einkaufscenter, die Rhein-Galerie in Ludwigshafen, angeschaut. Was bietet die Shoppingmall ihren Kunden und was halten die Mieter im Center sowie die Einzelhändler aus der Innenstadt von der Galerie?

Ludwigshafen/Trier. Weißer Jura-Marmor, Brunnenanlagen, 130 Geschäfte, Cafés und Restaurants auf zwei Ebenen: Das Bauwerk der Rhein-Galerie in Ludwigshafen greift mit seinen Rundungen das Thema Wasser auf und wirkt - direkt am Fluss gelegen - wie ein ankerndes Schiff. Das Einkaufscenter mit 30 000 Quadratmetern Verkaufsfläche hat die Innenstadt von Ludwigshafen um gute 400 Meter an den Rhein verrückt. Besonders an Mode interessierte junge Menschen soll der 2010 eröffnete Einkaufspalast aus dem Umland zum Shoppen in die Stadt locken. Rund 15 000 Menschen strömen nach Angaben der Centermanagerin Andrea Poul täglich ins Center am Rhein, das bei den Kunden keine Wünsche offen lassen soll: Nobel-Marken, Restaurants, Bars und 1400 Parkplätze direkt im Center.

Die Vorgeschichte: "Ludwigshafen am Rhein, traditionell geprägt durch die Chemie-Industrie und Standort der Firma BASF, ist keine attraktive Einkaufsstadt. Mode-Marken mit Strahlkraft fehlen. Das vorhandene Einkaufscenter (Rathaus-Center) entspricht nicht mehr den Standards moderner Shoppingcenter."
Zu diesem Ergebnis kamen die Gutachter der GMA-Markt- und Standortuntersuchung im Auftrag der Stadt Ludwigshafen im Jahr 2005. Trotz zu erwartender Auswirkungen auf den bestehenden Einzelhandel plante und realisierte die Stadt gemeinsam mit der ECE-Projektmanagement GmbH ein zweites und weitaus größeres Shoppingcenter als das bereits vorhandene Rathaus-Center, um die Stadt als Handelsstandort zu stärken.

Das sagen die Mieter: "Mit der Kundenfrequenz sind wir zufrieden", sagt Ute Pippirs, Filialleiterin der Modeboutique Biba im Erdgeschoss des Centers. "Man merkt besonders den Unterschied zwischen Werktagen und den Wochenenden, wo deutlich mehr los ist. Dann kommen auch Kunden aus weit entfernten Orten wie Heidelberg, Kaiserslautern, Landau und Speyer." S. Völker, die ihren Vornamen nicht nennen möchte, ist Filialleiterin eines Unterwäschegeschäfts in der Rhein-Galerie. Sie sei zwar mit den Besucherströmen im Center zufrieden, findet es aber "unmöglich, dass wir, die hier das Geld ranschaffen, noch 70 Euro pro Monat für einen Parkplatz bezahlen müssen".

Das sagen die Kunden: Die Shops international bekannter Modemarken wie Hollister und Hallhuber locken insbesondere junge Kunden aus dem Umland wie zum Beispiel die 21-jährige Anna Seider aus Worms nach Ludwigshafen. "Ich komme ein bis zwei Mal im Monat in die Rhein-Galerie einkaufen und fahre dafür 20 Minuten mit dem Auto", sagt Seider. Heute habe sie Kleidung, Kosmetik und Schuhe für 100 Euro gekauft. "In die Innenstadt gehe ich aber nicht mehr, da gibt es nichts, da zieht mich nichts hin", sagt die junge Kundin, die ihr Auto im 1400 Stellplätze umfassenden Parkhaus der Rhein-Galerie abgestellt hat und die Stadt von dort aus wieder verlassen wird. Auch der 48-jährige Jochen Jünger ist mit seiner Familie aus dem zwölf Kilometer entfernten Frankenthal für einen Familieneinkauf ins ECE-Einkaufscenter angereist. "Hier gibt es alles, viele Nobelläden, und es ist überdacht. Aber seit dem Center kann man die Innenstadt vergessen", sagt der Familienvater, "die ist seit der Rhein-Galerie endgültig tot."

Das sagen Händler in der Innenstadt: Hinter der vierspurigen Rheinuferstraße, die das Center und die Innenstadt trennt, liegen in 300 bis 500 Metern Entfernung Ludwighafens ehemalige Flaniermeilen - Ludwigstraße und Bismarckstraße. Heute reiht sich dort ein Leerstand an den anderen, die Straßenzüge wirken geisterhaft. Mit Papier abgeklebte Schaufenster, in denen Schilder von Immobilienmaklern mit der Aufschrift "zu vermieten" hängen, prägen das Bild der Innenstadt. "Die Fußgängerzone ist schon länger schlecht besetzt", sagt Michael Greichgauer, Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Ludwigshafener Gewerbevereine. Nach der Eröffnung der Rhein-Galerie im Jahr 2010 habe sich die Lage jedoch weiter verschärft. Birgit Hoch führt ein seit 1871 in der Bismarckstraße ansässiges Familienunternehmen, Juwelier Maurmann. "Seit die Rhein-Galerie hier ist, gehen die Geschäfte in der Fußgängerzone kontinuierlich bergab", sagt die Juwelierin. "Es läuft schlechter als schlecht. Die nehmen uns viel Laufkundschaft weg", sagt Hoch.
Ein anderes Bild zeigt sich hingegen in Teilen der Ludwigstraße. Das Schuhgeschäft von Marcus Keller-Leist liegt an einem Knotenpunkt der Straßenbahn, wo viele Menschen aussteigen und von dort aus zum Center strömen. "Über diese Laufroute habe ich neue Kunden gewonnen", sagt Keller-Leist. "Allerdings habe ich mir schon, bevor die Galerie kam, Gedanken gemacht, wie ich mich gegenüber den dort ansässigen Filialisten positionieren kann." Seine Lösung: beratungsintensive und hochwertige Schuhe im obersten Preissegment.
Zudem hat der Schuhhändler auch die Initiative "TOPinLu" gegründet - eine Gemeinschaft inhabergeführter Einzelhandelsgeschäfte, die ihren Kunden höchste Qualität und Beratung bieten möchte und dafür gemeinsam die Werbetrommel rührt.

Das sagt Centermanagerin Andrea Poul: Auch wenn einige Händler in der Innenstadt Ludwigshafens über die Konkurrenz aus dem Center klagen. In den Augen der ECE-Centermanagerin Andrea Poul ist die Rhein-Galerie mit etwa 1200 neuen Arbeitsplätzen ein Erfolg für die gesamte Stadt. "Ludwigshafen wurde vor Eröffnung der Rhein-Galerie doch gar nicht als Einkaufsstadt wahrgenommen", sagt Poul. Nun würden Kunden aus einem weiten Umkreis die Stadt zum Shoppen anfahren. "Das Pfund, mit dem wir wuchern, ist der besondere Standort direkt am Rhein." Darüber hinaus würden insbesondere die international bekannten Modemarken wie Hollister, Calzidonia oder Desigual die junge Zielgruppe zwischen 16 und 49 Jahren ins Center locken. "Diese Mieter in der Rhein-Galerie sind momentan einzigartig für Rheinland-Pfalz", sagt Poul. Mit der aktuellen Umsatzentwicklung im Center ist sie sehr zufrieden.
Die Leerstände und Probleme der Einzelhändler in der Innenstadt möchte sich die Centermanagerin allerdings nicht ans Bein binden lassen. "Die Problematik ist, dass die angebotenen Flächen in der Innenstadt viel zu klein für die Filialisten der Textilbranche sind", sagt Poul, "die können in den kleinen Läden, die dort leer stehen, ihr Angebot gar nicht abbilden." Die Innenstadt hätte zudem schon vor der Eröffnung des Centers nicht besser dagestanden als jetzt, sagt Poul. Auch das innerstädtische Rathaus-Center, eine bereits seit 1979 von der ECE betriebene Shoppingmall, habe aufgrund der Rhein-Galerie keine Kunden eingebüßt.

Das sagt die Stadt: Ludwigshafens Baudezernent Klaus Dillinger ist mit dem Einkaufspalast direkt am Rhein höchst zufrieden. "Das war ein großer Erfolg und bringt wieder Kaufkraft nach Ludwigshafen, die wir vorher ans Umland verloren hatten. Damit stabilisiert das Center unsere Einzelhandelsposition und bringt uns weiter nach vorne", sagt Dillinger. Nach Angaben des Baudezernenten verfüge Ludwigshafen mit der Galerie überhaupt zum ersten Mal über einen Magneten, der Kunden aus einem Einzugsgebiet von 20 bis 30 Kilometern Entfernung anziehe.
Von der Stadt in Auftrag gegebene Studien zeigen jedoch ferner, dass ein Teil der Innenstadt nicht vom Center profitiert. In der Innenstadt stieg die Quote der leerstehenden Ladenfläche im Jahr 2011 im Vergleich zum Vorjahr um weitere zwei Prozent und damit auf insgesamt 15,7 Prozent. Von den insgesamt 388 Ladenflächen in der Innenstadt standen damit Ende 2011 ganze 61 leer. Auch das Passantenaufkommen in der ehemaligen Flaniermeile Bismarckstraße sank 2011 um weitere 25 Prozent im Vergleich zu 2009, als noch 30 643 statt aktuell 23 941 Menschen täglich dort unterwegs waren.

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