Umweg über Schienen: Defekter Aufzug am Hauptbahnhof nach Wochen wieder intakt

Trier · Weil am Trierer Hauptbahnhof ein Aufzug streikte, mussten gehbehinderte Fahrgäste weite Umwege in Kauf nehmen. Für die Betroffenen nahmen die Unannehmlichkeiten bisweilen groteske Züge an. Unterdessen teilte die DB AG mit, dass das neue Bahnsteigdach erst im Frühjahr 2016 fertiggestellt wird - ein Jahr später als geplant.

 So sah es wochenlang aus: Eskortiert von einer Bahnmitarbeiterin passieren Alfred Seramour und Denise Kaysen nach fast 40 Minuten die provisorische Querung über die Schienen. TV-Foto: Marcus Stölb

So sah es wochenlang aus: Eskortiert von einer Bahnmitarbeiterin passieren Alfred Seramour und Denise Kaysen nach fast 40 Minuten die provisorische Querung über die Schienen. TV-Foto: Marcus Stölb

Foto: (h_st )

Trier. 13.41 Uhr an Gleis 12: Auf die Minute pünktlich fährt die Regionalbahn ein. Alfred Seramour und Denise Kaysen verlassen den Zug. Zweimal wöchentlich muss sie nach Konz, den Weg dorthin und wieder zurück legt das Paar mit der Bahn zurück.
Seramour zückt sein Handy und ruft im Servicepoint an. Schon vor Wochen hat er die Nummer abgespeichert, schon seit Wochen sind Denise Kaysen und er am Bahnsteig auf Hilfe angewiesen. Der Grund: Ein Aufzug streikt. Weil die 59-Jährige seit einem Schlaganfall auf den Rollstuhl angewiesen ist, ist das Empfangsgebäude für sie auf herkömmlichen Weg nun unerreichbar.
Während Denise Kaysens Partner die Nummer des Servicepoints wählt, versucht am gegenüberliegenden Bahnsteig ein Techniker, den Aufzug zum Laufen zu bringen. Der Mann beugt sich über den Schaltplan, fast hat es den Anschein, als wolle er das Möbel eines schwedischen Einrichtungshauses aufbauen. Seit Stunden ist er zu Gange, bislang erfolglos.
Im Servicepoint hebt derweil niemand ab. Ist auch niemand da, der abheben könnte. Nach zehn Minuten fragt der Reporter im Reisezentrum nach: Er habe sich auch schon gewundert, warum der Servicepoint nicht besetzt ist, antwortet der mäßig engagierte Bahnmitarbeiter. Seramour wählt erneut die Nummer, wieder hebt niemand ab. "Heute auf den Tag genau seit vier Wochen ist der Aufzug kaputt", hat er zwei Tage zuvor berichtet.
Nach mehr als 20 Minuten ist der Servicepoint noch immer verwaist. Erneute Nachfrage im Reisezentrum, dieses Mal bei einem anderen Mitarbeiter. Der sagt, dass er "eigentlich einem anderen Geschäftsbereich" angehöre, wählt dann aber gefühlt ein halbes Dutzend Nummern. Als endlich jemand abhebt, taucht seine verschollen geglaubte Kollegin auf. Sie habe Mittagspause gehabt, erklärt sie; weil zwei ihrer Kollegen erkrankt seien, habe niemand sie vertreten können.
Eine halbe Stunde ist vergangen, als die freundliche Mitarbeiterin samt Warnweste und Handy zum Bahnsteig 2 kommt. Was nun folgt, kennen Denise Kaysen und Alfred Seramour: Gemeinsam geht es in Richtung Norden, den kompletten Bahnsteig 2 entlang und noch darüber hinaus. Der Umweg führt auch über Schienen. Doch bevor das Paar die provisorische Querung passiert, stellt die Begleiterin per Anruf sicher, dass kein Zug kommt. Nach rund 40 Minuten ist der Weg geschafft, sind Denise Kaysen und Alfred Seramour am anderen Bahnsteig angelangt. Ironie der Geschichte: Kurz darauf funktioniert der Aufzug wieder, nach vier Wochen und zwei Tagen.
Für einen Moment scheint Alfred Seramours Ärger verflogen. Dass sie einmal eine halbe Stunde warten mussten, weil ein Zug den provisorischen Übergang blockierte - vergessen; dass sie einmal vergebens auf Hilfe warteten, weil eine Betriebsversammlung der Bahn stattfand - geschenkt. Meist habe sich das Servicepersonal bemüht, betonen die Beiden, meist seien sie auf freundliche Mitarbeiter gestoßen. Und so lange habe es noch nie gedauert. Dumm nur, dass dieses Mal ein Reporter dabei war.Bahn weist Schuld von sich


Nachfrage bei der DB AG in Frankfurt: "Der Aufzug war tatsächlich vier Wochen außer Betrieb", bestätigt ein Sprecher und nennt sogleich den aus Sicht des Konzerns Schuldigen: "Trotz mehrfacher Anmahnungen durch den verantwortlichen Dienstleister DB Services bei der beauftragten Instandsetzungs- und Herstellerfirma war das Unternehmen zunächst nicht in der Lage, uns konkrete Lösungsmaßnahmen darzulegen."
Wer aber die Verantwortung dafür trägt, dass Fahrgäste am Bahnsteig 1 weiter unter freiem Himmel stehen werden, sagte der DB-Sprecher nicht. Stattdessen kündigt er auf neuerliche Anfrage an: "Das erneuerte Bahnsteigdach soll im Frühjahr 2016 in Betrieb gehen."
Im Rahmen der fortschreitenden Arbeiten habe man festgestellt, "dass der Untergrund für die ursprünglich vorgesehene Konstruktion nicht tragfähig war. Dadurch musste die Anlage neu geplant und neu statisch berechnet werden, was zu entsprechenden Zeitverzögerungen geführt hat."Meinung

Beschämend!
Man stelle sich einmal vor, eine hochrangige Führungskraft der Deutschen Bahn AG hätte aufgrund eines defekten Aufzugs seinen Anschlusszug verpasst - wie lange hätte es gedauert, bis der Lift wieder in Betrieb gegangen wäre? Garantiert keinen Monat und zwei Tage! Nach Trier dürfte es Bahnmanager höchst selten verschlagen, und wenn doch, bräuchten diese sich um ihre Anschlusszüge wenig sorgen, weil es derer kaum mehr gibt. Die Geringschätzung des großen Konzerns für den relativ kleinen Trierer Hauptbahnhof ist gerade für gehbehinderte und auf den Rollstuhl angewiesene Menschen beschämend und eine Zumutung. Dass es bis dato keine barrierefreie Toiletten gibt und das Unternehmen stattdessen auf die sanitären Anlagen eines nahe gelegenen Shoppingcenters verweist, spricht Bände. Auch dass sich die Fertigstellung des neuen Bahnsteigdachs um ein Jahr verzögern soll, passt ins Bild. Da können sich die Mitarbeiter vor Ort noch so sehr ins Zeug legen, freundlich sein und sich auch ehrlich bemühen - so lange die Konzernspitze an Personal und Infrastruktur spart, wird sich nichts zum Besseren wenden. trier@volksfreund.de

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