Die Volkszähler

Trier · Nur ein leises Surren von den Lüftungen ist zu vernehmen. So also hört es sich an, wenn die Daten einer ganzen Bevölkerung bearbeitet, verglichen und ausgewertet werden.

Vor den großen Server-Schränken, tief im Innern des Rechenzentrums an der Universität Trier, stehen die Herren der Zahlen: Ralf Münnich, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik, und zwei seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter, Jan-Philipp Kolb und Jan Pablo Burgard. Ihre Aufgabe: die Vermessung der Deutschen.

Wie groß ist die Bevölkerung Deutschlands, wo leben wie viele Menschen und welche Berufe haben sie? Ganz genau weiß das niemand. Die letzte Volkszählung fand in Westdeutschland im Jahr 1987 statt, und vieles ist seitdem passiert: die Wiedervereinigung zum Beispiel, der Maastricht-Vertrag mit seiner Niederlassungsfreiheit für EU-Bürger. Aber die bestehenden Zensuslisten wurden bloß fortgeschrieben – Fehler inklusive. Nun soll eine neue Zählung diese Fehler korrigieren. Stichtag für den Zensus ist der 9. Mai 2011, die Vorbereitungen auf diesen Tag laufen schon seit etwa zwei Jahren – unter anderem an der Uni Trier.

Statistik-Kunst statt Haus-zu-Haus-Besuche

Der Zensus 2011 besteht nicht, wie noch die umstrittene Befragung von 1987, aus Haus-zu-Haus- oder Telefon-Interviews. Stattdessen werden verschiedene Melderegister „zusammengeschaltet“. „Das macht die Arbeit schneller und damit günstiger, und diese Methode reduziert den Aufwand für die Bürger“, sagt der Mathematiker Ralf Münnich.

Weil aber auch diese Melderegister fehlerhaft sein können, soll eine zusätzliche Stichprobenbefragung mögliche Ungenauigkeiten korrigieren. Deshalb bestand die Aufgabe von Ralf Münnich und seinem Team darin, zusammen mit Statistikern aus Mannheim einen Algorithmus zu entwickeln, nach dem eine Auswahl der in der Stichprobe befragten Haushalte zusammengestellt werden kann. Mit etwa acht Millionen Menschen ist das eine der größten Stichprobenuntersuchungen überhaupt – und eine Herausforderung für jeden Statistiker. „Darüber hinaus“, erläutert Münnich, „sollen in einer zusätzlichen Stichprobe wichtige sozioökonomische Variablen wie Beruf oder Einkommen erfasst werden.“

Die zweite Aufgabe der Trierer Statistiker ist es also, diese weiterführenden Informationen aus der Stichprobe zuverlässig auf Gesamtdeutschland hochzurechnen. „Diese Methodik ist ausgesprochen komplex und in Deutschland so bisher nicht angewandt worden“, sagt er. Damit im Rahmen der Volkszählung alles rundläuft, surren bereits seit eineinhalb Jahren in Trier die Großrechner. 14 Server-Schränke rechnen rund um die Uhr. Dort sind die bisherigen Daten über alle 82 Millionen Deutschen hinterlegt.

Die Rechner ziehen andauernd Stichproben anhand der Formel, die Münnich und seine Kollegen entwickelt haben. Danach rechnen die Computer die verschiedenen Szenarien durch. Insgesamt elf Modelle haben die Forscher entwickelt, für jedes werden drei Millionen Stichproben gezogen. Das macht 33 Millionen Stichproben, die im Trierer Rechenzentrum ausgeführt werden.

82 Millionen Deutsche auf dem Trierer Rechner

Spätestens Anfang November werden alle Rechnungen abgeschlossen sein. Das beste Modell wird Münnich dann dem Statistischen Bundesamt für den Zensus 2011 vorschlagen; den Algorithmus zur Ziehung der Stichproben-Haushalte hat er bereits fertiggestellt und übermittelt. In diesen Tagen und Wochen werden die genauen Haushalte bestimmt, die dann ab dem Zensus-Stichtag befragt werden.

Es liegt auf der Hand, dass die Trierer Statistik-Abteilung ihren Schwerpunkt in der Umfrageforschung hat: Vor allem im Bereich der Computersimulation sei die Trierer Universität deutschlandweit auf einem Spitzenniveau, findet Münnich.

Für die Studenten gibt es einen eigenen Masterstudiengang in Umfragestatistik.

Jan Pablo Burgard ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Ralf Münnich, seine Diplomarbeit hat er bereits frühzeitig auf den Zensus 2011 ausgerichtet. „Ich habe untersucht, wie es zu Fehlern in den Datenbanken kommen kann und mit welchen statistischen Methoden sie ausgeglichen werden können“, sagt Burgard.

Es geht um viel: So basieren etwa der Länder-Finanzausgleich oder die Zuweisungen an Gemeinden auf den Bevölkerungszahlen. Und selbst die Frage, wie viele Schulen oder Kindergärten benötigt werden, lässt sich ohne eine fehlerfreie Grundlage schwerlich einschätzen.

Kim-Björn Becker

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