Des Apfels Kern

Mancher Apfel trifft genau den persönlichen Geschmack. Doch nicht immer ist die Sorte bekannt. Gerade alte Apfelsorten sind so vielfältig, dass der Laie sie weder per Internet, noch mit Hilfe anderer Hilfsmittel einwandfrei bestimmen kann. Hier hilft der Pomologe, ein Fachmann für Obstbau, weiter.

Auf dem Tisch liegen fünf karminrot geflammte Äpfel. Daneben stellt Richard Dahlem einen schwarzen Koffer ab. Hat man so einen nicht schon mal beim Klemptner gesehen? Der Pomologe wird's richten: Zu ihm geht man, wenn eine Obstsorte bestimmt werden soll. Sein wichtigstes Werkzeug ist die Kernsammlung. Dahlem hat sich eine für Birnen und eine für Äpfel angelegt. Im Apfelordner reihen sich 24 Kerne Rheinischer Schafnase an 15 Frühe Viktoria sowie Hunderte anderer kerniger Sortenindizien.

Fachleute auf dem Gebiet des Obstbaus, heißt es unter Pomologen nicht ohne Stolz, fingen dort an, wo die Botaniker aufhörten. Den Pflanzenforschern reicht es, dass ein Apfel ein "Malus domestica" ist. Für alle, die ihn essen, keltern oder anderweitig verarbeiten wollen, muss die Sorte identifiziert werden.

Ein Allergiker will wissen, ob er einen Golden Delicious vor sich hat, dessen Verzehr ihm den Mund anschwellen lässt, oder eine Rote Sternrenette, die er bedenkenlos essen kann (siehe Extra). Ein Viezkelterer wird für seinen Most auf den Roten Trierer Weinapfel zurückgreifen und den für Apfelkuchen so beliebten Boskoop links liegen lassen. Und welche Tafelobstsorte verbirgt sich hinter den rot marmorierten Apfelgestalten?

Dazu nimmt Dahlem die Früchte zur Hand. Sie greifen sich fettig - der glockenförmige ebenso wie der dickste und auch die drei, die in Form und Größe irgendwo dazwischen liegen. Fünf Äpfel vom gleichen Baum sollten es sein, um eine Bestimmung vornehmen zu können. "Sehen Sie die grobkantige Form mit den Wülsten hier am Kelchansatz?", fragt der Experte. Das mache die Äpfel charakteristisch oval bis eckig. Weitere Erkennungsmerkmale liegen im Kelchbereich. Dem Kenner fällt sofort die strahlig auslaufende Berostung auf. Dass der Stiel kurz und dick ist, muss er sich gar nicht mehr anschauen. Dahlem hat schon eine Idee: "Hier werde ich untersuchen, ob es ein Gravensteiner oder der Dülmener Herbstrosenapfel, ein Sämling des Gravensteiner ist." Spricht's und schneidet den ersten Apfel vorsichtig auf. Die Kerne sollen unversehrt bleiben. Nur so kann Dahlem sie mit seinen Kernen vergleichen. Wie ein Detektiv muss der Diplom-Ökologe manchmal in seiner Arbeit beim luxemburgischen Sortenerfassungsprojekt vorgehen. "Im Moment bin ich auf der Suche nach dem Kleinen Rheinischen Bohnapfel", sagt er. In der Großregion Trier ist der Große Rheinische Bohnapfel eine der gängigsten Sorten auf Streuobstwiesen. Sein kleiner Bruder dagegen gilt als verschollen. Einen Hinweis hat Dahlem aus dem Saarland. Er glaubt jedoch, dass es ihn auch hier noch geben könnte. "Im 18. Jahrhundert war der in unserer Region weitaus häufiger als der heute noch bekannte Bohnapfel", sagt Dahlem. Von der Frucht her sei er runder, weniger ausgefärbt, ohne aufgehellte Schalenpunkte und mit einem langen dünnen Stiel. Bei guter Ausreifung gehören Bohnäpfel als Aromaträger zu den besten Wirtschaftsäpfeln. Aber so saftig erfrischend wie die gerade verkosteten Apfelschnitze eines charakterstarken Tafelapfels kann nur einer sein: Keine Frage, es ist der seit 1669 bekannte Gravensteiner.

TV-Leser können ihre unbekannten Apfelsorten von Pomologe Richard Dahlem bestimmen lassen: Fünf gut ausgebildete Früchte einer Sorte verpacken, mit dem eigenen Namen und Adresse oder Telefonnummer oder Mail-Adresse versehen und im Büro des Naturschutzbundes (NABU) in Trier, Pfützenstraße 1, erster Stock, abgeben. Das Büro ist montags, mittwochs und freitags von 9.30 bis 12.30 Uhr besetzt.

Kathrin Hofmeister

Extra

Alte Sorten: Zwischen 4000 und 6000 Apfelsorten sind bekannt. Das Sortiment in Supermärkten beschränkt sich von Braeburn über Granny Smith bis Pink Lady meist auf eine Hand voll aktueller Sorten. Die jedoch rufen bei immer mehr Menschen Allergien hervor. Verantwortlich für eine Allergie ist die spezifische Anordnung der Aminosäuren in einem Lebensmittel. Werden Äpfel gekocht, verändert sich die Aneinanderreihung. Der Allergiker verträgt sie wieder. Doch auch auf frische Äpfel müssen Allergiker nicht unbedingt verzichten. Alte Apfelsorten rufen wesentlicher weniger Allergien hervor. Fachleute sehen einen Grund in den unter der Apfelsch ale liegenden Polyphenolen. Der G ehalt dieser Abwehrstoffe des Apfels gegen Pilzkrankheiten wie Schorf ist in alten Sorten hoch. Gute Erfahrungen wurden beispielsweise mit Ananasrenette, Freiherr von Berlepsch und Roter Sternrenette gemacht. Richard Dahlem bestätigt: Bei einer Veranstaltung des Naturschutzbundes Trier (Nabu) sprach ihn eine Allergikerin auf das Thema an. Er gab ihr eine Rote Sternrenette mit, die sie vorsichtig probieren sollte. Am nächsten Tag kam die Frau wieder und kaufte eine ganze Kiste. (kf)

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