Das tragische Ende von Seargent Blue: Wegekreuz in Morscheid erinnert an einen US-Soldaten, dessen Bomber 1944 abstürzte

Morscheid · Vor 72 Jahren ist bei Morscheid ein US-Bomber mit zehn Mann Besatzung in deutsches Flakfeuer geraten und explodiert. An einen Funker namens David Leonard Blue, der damals ums Leben kam, weil sich sein Fallschirm nach dem Absprung nicht öffnete, erinnert heute ein Kreuz im Wald. Zeitzeuge Karl Meyer (84) hat es dieser Tage erneuert. Er weiß noch genau, was damals passierte.

 Karl Meyer (rechts) und Walter Theis halten mit dem Kreuz im Morscheider Wald das Gedenken an einen US-Soldaten wach, der dort 1944 auf tragische Weise ums Leben kam. TV-Foto: Albert Follmann

Karl Meyer (rechts) und Walter Theis halten mit dem Kreuz im Morscheider Wald das Gedenken an einen US-Soldaten wach, der dort 1944 auf tragische Weise ums Leben kam. TV-Foto: Albert Follmann

Foto: (h_tl )

Stellmacher Karl Meyer boßelt noch gerne in seiner Werkstatt. Die 84 Jahre gibt man ihm nicht, wenn er von früher erzählt und seine wachen Augen dabei leuchten. Meyer, der den Beruf des Wagenbauers in vierter (und letzter) Generation ausübt, hat einiges aufzuweisen. So hat er das größte Wagenrad in Rheinland-Pfalz gebaut, es steht am "Platz unserer Deutschen Weinkönigin" in Waldrach, der an die Amtszeit von Mechthild Meyer (später Weis) erinnert.

In den vergangenen Wochen hat Karl Meyer an einem Eichenkreuz mit Schieferdächelchen gearbeitet. Er hat es im Wald aufgestellt, am Verbindungsweg zwischen Morscheid und Bonerath, anstelle eines witterungsbedingt unansehnlich gewordenen Exemplars. Die Initiative ging vom Morscheider Bürger Walter Theis aus. Ein Unbekannter hat zwei rote Rosen und Astern vor dem Kreuz abgelegt. Auf der Plakette, die an dem Wegekreuz angebracht ist, steht "Zum Gedenken an USA TSgt David L. Blue".
Die Abkürzung TSgt steht für Technical Sergeant; Blue war Unteroffizier bei der US-Armee im Zweiten Weltkrieg.

Am 9. November 1944 flog der Funker mit neun weiteren Kameraden an Bord einen Angriff auf Saarbrücken. Ihre Maschine, ein Boeing B-17 Bomber, gehörte zu einem Geschwader, das in England stationiert war. Gegen 10 Uhr gerieten die Maschinen über Trier in das Abwehrfeuer der dort stationierten schweren Flak. Die B 17 erhielt einen Volltreffer am Bug - zwei Männer waren sofort tot, das viermotorige Flugzeug kippte mit brennendem Motor ab. Bevor es in der Luft explodierte, konnten sich acht Besatzungsmitglieder mit dem Fallschirm retten. Das hat Militärhistoriker Horst Schuh aus Euskirchen recherchiert.Fallschirm öffnet sich nicht

 Ein amerikanischer B 17-Bomber. Eine Maschine dieses Typs stürzte im November 1944 im Wald bei Morscheid ab. Foto: TV-Archiv

Ein amerikanischer B 17-Bomber. Eine Maschine dieses Typs stürzte im November 1944 im Wald bei Morscheid ab. Foto: TV-Archiv

Auch Funker David Blue war gesprungen, doch sein Fallschirm öffnete sich nicht. Dies hatte der Morscheider Wilhelm Schneider bestätigt, als Schuh Ende der achtziger Jahre im Hochwald Augenzeugen zu dem Vorfall befragte. Schneider arbeitete an jenem 9. November 1944, einem klaren Herbsttag, mit seinem Vater im Wald.

Alfons Meyer, ebenfalls aus Morscheid, hatte den Absturz des Bombers aus einer anderen Perspektive beobachtet. Er stand mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Karl an der Schule im Ort und sah den US-Bomberverband in Richtung Hermeskeil fliegen. Eine Maschine sei nach links abgedreht, ringsum Flakfeuer, dann habe es eine Explosion gegeben. So erzählt es Karl Meyer, der letzte Zeitzeuge. "Die Teile waren weit verstreut, die Kanzel lag im Bereich der heutigen Riveristalsperre, ein Tank ging vor Lonzenburg runter." Der Soldat Blue sei in einen Baum zu Tode gestürzt, die anderen, die abgesprungen waren, seien wohl weggelaufen und später von der Wehrmacht aufgegriffen worden, vermutet der 84-Jährige.

Als Bub von zwölf Jahren war er dabei, als sein Vater Eduard Meyer, der Dorfschreiner, den Leichnam von David L. Blue in einen schlichten Sarg legte. Den habe sein Vater noch abends gezimmert. Bauer Nikolaus Reichert habe den Sarg dann mit einem Kuhgespann ins Spritzenhaus gefahren. Die Bestattung sei ohne kirchlichen Segen in einer abgelegenen Ecke des Morscheider Friedhofs erfolgt. Der Gefallene sei Jude gewesen.

Heute noch sei er sehr stolz darauf, sagt Meyer, was sein Vater, der schon im Ersten Weltkrieg gedient hatte, getan habe. "Er hat den Amerikaner als Menschen wie du und ich angesehen", sagt der 84-Jährige. Sein Vater habe den Soldaten in Uniform und Springerstiefeln aufgebahrt, ihm die Bomberjacke als Kissen unter den Kopf gelegt, und nichts von seinen persönlichen Sachen an sich genommen.

Einige Monate nach Kriegsende, als der Leichnam exhumiert wurde, habe ein US-Offizier seinem Vater dafür Anerkennung gezollt. "Er hat eine Stange Chesterfield-Zigaretten bekommen", erinnert sich Karl Meyer. "Wäre der Soldat ohne Sachen gefunden worden, hätten sie meinen Vater wohl mitgenommen." Von den Flugzeugresten habe die Dorfbevölkerung alles mitgenommen und verwertet, was nicht niet- und nagelfest gewesen sei: Bleche für Hausdächer und Scheunen, Gummiisolierungen für Schuhsohlen, Alurohre als Wasserleitung, und, und, und. Im vergangenen Jahr hat Karl Meyers Ehefrau im Wald zufällig den Tankdeckel der abgeschossenen Maschine gefunden.

Laut Militärforscher Horst Schuh hat Funker Blue, der auf so tragische Weise im Morscheider Wald ums Leben kam, seine letzte Ruhe auf dem Soldatenfriedhof in Sandweiler (Luxemburg) gefunden. Dort ist er einer unter Tausenden Gefallenen. In Morscheid hält man die Erinnerung an David Leonard Blue und sein Schicksal lebendig. Sein Name bleibt untrennbar mit dem Tag verbunden, als der Krieg den beschaulichen Hochwaldort heimsuchte.

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