"Riesenhemmschwelle vor Jugendamt"

Wie niedrigschwellig muss der Zugang zu Beratungsangeboten für sexuelle Misshandler sein? Um diese und andere Fragen drehte sich die Diskussion auf einer Fachtagung am Donnerstag im Jugendhilfezentrum (JHZ) Don Bosco Helenenberg.

Helenenberg. (gsb) Anlass der Fachtagung war das zehnjährige Bestehen des Pinardi-Hauses im Jugendhilfezentrum. Dabei handelt es sich um eine pädagogisch und therapeutisch betreute Wohnform für jugendliche sexuelle Misshandler auf dem Helenenberg (Reportage über die Einrichtung folgt). Nachdem das Pinardi-Haus 1998 eingerichtet und bundesweit bekannt wurde, habe man sich vor Nachfragen kaum retten können, berichtete der Bereichsleiter Wolfgang Friesen. Schließlich habe es eine vergleichbare Einrichtung damals kaum gegeben. Kernpunkt der Diskussion war die Frage der möglichen Vernetzung mit verschiedenen Einrichtungen, die mit Opfern sexueller Gewalt arbeiten, um Opfern und Tätern zu helfen. Einig waren sich die Teilnehmer, dass bei Missbrauchsfällen schnelle Hilfe geboten sei - besonders, wenn sie in der Familie stattgefunden haben. Die Hemmschwelle, das, was nicht hätte geschehen sollen, auszusprechen und Hilfe in Anspruch zu nehmen, sei hoch. Daher, darüber herrschte bei Kinderschutzbund und -dienst sowie dem Pinardi-Haus Konsens, müsse ein Beratungsangebot möglichst niedrigschwellig sein. Mit anderen Worten: Tätern und ihren Familien sollte der Gang zum Jugendamt zunächst erspart und ihnen unmittelbar die Möglichkeit eröffnet werden, sich in einer Beratungsstelle helfen zu lassen - ohne den Umweg über das Jugendamt zu nehmen, der nach Meinung der Fachleute die Krisensituation weiter anheizt. Das allerdings ist nur über eine Pauschal-Finanzierung möglich. Durch den direkten Gang zur Beratungsstelle versprachen sich die Vertreter der Hilfseinrichtungen eine größere Offenheit von Eltern und Betroffenen. Zudem soll dadurch eine bessere Vernetzung der bestehenden Hilfsangebote erreicht werden. Dass dieses Modell bereits klappt, demonstrierte Harald Conrad von der Beratungsstelle Neue Wege Saar. Die saarländischen Jugendämter würden viel schneller auf Beratungsangebote zurückgreifen. Der kurze Weg trage zudem Früchte, da "in der aktuellen Situation die jugendlichen Täter viel zugänglicher sind, weil sie die Konsequenzen sehen. Wenn sie erst nach Monaten kommen, wird der Übergriff verharmlost oder verleugnet." Auch Thomas Herrmann, Pinardi-Haus, bescheinigte eine "Riesenhemmschwelle" vor dem Jugendamt. Hans Schmitt, Leiter des Kreisjugendamts, wehrte sich gegen die "Kritik an der öffentlichen Jugendhilfe" und sprach von einer "angeborenen Angst vor dem Jugendamt". Gleichwohl signalisierte er Gesprächsbereitschaft und outete sich als ein "glühender Verfechter der Pauschal-Honorierung". Die Teilnehmer verständigten sich am Schluss der von Dieter Lintz, Leitender Redakteur beim TV, moderierten Diskussion darauf, im Dialog zu bleiben, den Blick für die Problematik auch in Schulen zu öffnen und Öffentlichkeit zu schaffen.

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