Verstoßen, allein gelassen, zwangssterilisiert - Historiker untersucht Schicksal von Mädchen in ehemaligem Heim Föhren

Trier/Föhren · Auch vor den Mädchen des Föhrener St. Josephsheims machten die Nazis nicht Halt. Viele Bewohnerinnen des ehemaligen Heims wurden zwangssterilisiert. Im Rahmen der Vortragsreihe "NS-Rassenhygiene im Raum Trier" berichtete der Trierer Historiker Matthias Klein im Stadtmuseum Simeonstift über das Kapitel.

 Matthias Kleins Doktorarbeit beschäftigt sich mit der Zwangssterilisation in der NS-Zeit.TV-Foto: Katja Bernardy

Matthias Kleins Doktorarbeit beschäftigt sich mit der Zwangssterilisation in der NS-Zeit.TV-Foto: Katja Bernardy

Foto: (h_tl )

Trier/Föhren. Luise, damals 17, war eine der Bewohnerinnen des ehemaligen Föhrener St. Josephsheims, deren grausames Schicksal Matthias Klein im Rahmen seiner Doktorarbeit aufarbeitet: "Mutter, 1932 gestorben, war Trinkerin, hat die Familie vernachlässigt. Vater, energieloser Trinker, hat sich 1932 erhängt aus Lebensüberdruss und Schwermut. Luise kam 1930 nach Föhren, wurde 1933 in Stellung gebracht und am 27. März 1934 zurückgebracht, weil es in der Stellung nicht mit ihr ging. Das Mädchen ist debil und wird wahrscheinlich im Leben nicht fertig werden. Angeborener Schwachsinn, fällt unter das Gesetz vom 14. Juli 1933", heißt es in einer Akte.Nonnen wehrten sich


Ein paar Zeilen die, für den damaligen Teenager ein traumatisches Ereignis, die Zwangssterilisation einleiteten. Die Erlassung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" von 1933 hatte unter dem NS-Regime dazu geführt, dass je nach Schätzung zwischen 290 000 und 350 000 Menschen zwangsweise sterilisiert wurden. "Am Anfang der Gesetzesdurchführung wurden neben Patienten von Heil- und Pflegeanstalten Kinder in Fürsorgeerziehungsheimen erfasst", sagt Historiker Klein. Darunter Luise. Mit Hilfe einer weiteren Quelle aus dem Landeshauptarchiv in Koblenz belegte er, was mit dem Teenager weiter geschehen war: Darin heißt es, dass das Erbgesundheitsgericht aufgrund einer Intelligenzprüfung und eines Gutachtens zu dem Schluss gekommen sei, dass Luise an Schwachsinn leide. Das Leiden sei angeboren. Dies ergebe sich daraus, dass Luise belastet sei und dass keine äußeren Einflüsse auffindbar seien, durch die das Leiden erworben sein könnte. Die Folge: Laut des Dokuments wurde ihre Unfruchtbarkeitmachung angeordnet.
128 Mädchen aus dem Föhrener St. Josephsheim seien erfasst, 78 Fälle vor dem Erbgesundheitsgericht verhandelt worden, sagte Klein. Die Annahme "Wer solche Eltern hat, aus dem kann nichts Vernünftiges werden" sei die Grundlage gewesen, um nach dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", die Weichen für eine Zwangssterilisation zu stellen. Der Maßstab sei der bildungsbürgerliche Sittenkodex gewesen. Klein zeigte anhand weiterer Fallbeispiele, dass die für die Grausamkeiten an den Föhrener Heimkindern damals Verantwortlichen immer nach dem gleichen Schema vorgegangen waren.
Der Bericht über die Untersuchungen der 128 Heimkinder umfasste dem Historiker zufolge "gerade mal fünf Seiten". Zudem sei fraglich, wie viele Kinder den Landespsychiater überhaupt zu Gesicht bekommen hätten. Die Anstaltsleitung, die Franziskanerinnen von Nonnenwerth, hätten sich gegen die Zwangssterilisationen ihrer Schutzbefohlenen gewehrt.
"Zum einen, weil es im Widerspruch zur katholischen Lehre stand und zum anderen, weil man erzieherische Schwierigkeiten befürchtete. 128 Zwangssterilisationen auf einen Schlag hätten zu Unruhen geführt", sagte Klein. Fragen der Zuhörer nach Zeitzeuginnen oder ob die Ärzte jemals zur Rechenschaft gezogen worden seien, blieben unbeantwortet.Extra

Die Errichtung eines Mahnmals zum Gedenken an die Opfer von Zwangssterilisationen am evangelischen Elisabeth-Krankenhaus in Trier steht seit mehr als vier Jahren im Raum. Mehrere Anfragen unserer Zeitung an die Krankenhaus-Sprecherin, was aus dem Vorhaben geworden sei, blieben unbeantwortet. katExtra

Der Kordeler Hans Lieser, Jahrgang 1925, gehörte zu den mehr als 2000 Opfern, die 1934 und 1935 in Krankenhäusern im Bezirk Trier zeugungsunfähig gemacht worden waren. Aufgrund des Engagements seines Schwagers wurden der gehörlose Hans Lieser und weitere Betroffene aus der Region finanziell entschädigt. Die beiden Kordeler wirkten mit, dass das Erbgesundheitsgesetz von 1933 im Jahr 1998 aufgehoben und zum "NS-Unrecht" erklärt wurde. Erst im Alter hatte sich Lieser seinem Schwager anvertraut, gegen seinen Willen zeugungsunfähig gemacht worden zu sein. Der Trierer Historiker Thomas Schnitzler hatte beide unterstützt und sollte die regionale NS-Medizingeschichte aufarbeiten. Doch nach einem Konflikt zwischen dem Ärztekammerchef Günther Mattheis und Schnitzler (der TV berichtete) wurde der Auftrag an Thomas Grotum, Historiker an der Uni Trier, vergeben. Finanziert wird das 120 000 Euro teure Forschungsprojekt durch einen Förderverein, die Barmherzigen Brüder und die Kammer. Matthias Kleins Doktorarbeit ist Teil des Forschungsprojektes. kat

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