Von der Hölle ins Paradies

Durch eine Explosions-Katastrophe vor 60 Jahren bei der BASF verschlug es die achtjährige Christa und ihren Bruder von Ludwigshafen nach Langsur. Was als schicksalhafte "Kinderverschickung" begann, hat sich zu einer innigen, langjährigen Freundschaft entwickelt - zur Gastfamilie und zur Sauer-Region.

Langsur/Ludwigshafen. Christa Schneider war noch ein kleines Mädchen, als die Industriestadt Ludwigshafen im Zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent durch Bomben zerstört wurde. 1948, die Stadt lag immer noch größtenteils in Schutt und Asche, kehrte die Zerstörung wieder - diesmal in Form einer Explosions-Katastrophe bei der BASF (siehe " Extra").

Christa war acht Jahre alt und ihr Vater gerade aus der Gefangenschaft heimgekehrt, als es die neu hergerichtete Zwei-Zimmer-Wohnung ihrer Familie zerriss. Diese lag nur 200 Meter vom Explosionsherd entfernt. "Nicht nur, dass alles kaputt war, überall rannten verzweifelte und blutende Menschen durcheinander", erinnert sich die heute 68-Jährige immer noch voller Entsetzen an das Unglück vom 28. Juli 1948, das 207 Tote und 3800 Verletzte forderte. Kirche und BASF baten daraufhin Familien auf dem Land, betroffene Kinder für vier Wochen in Pflege zu nehmen, um das Erlebte zu verarbeiten. Auch Christa und ihr vier Jahre älterer Bruder kamen zur "Kinderverschickung". Ihr Bus fuhr in Richtung Trier. "Ich war noch nie von zu Hause weg und meine ängstliche Mutter sagte, mein Bruder und ich sollten unbedingt zusammen bleiben", erzählt Christa Schneider. Der Bus sei schon fast leer gewesen, als er an der luxemburgischen Grenze bei Langsur angekommen sei. "Ich war todmüde, es war spät und ich heulte wie ein Schlosshund, als es hieß, wir müssten raus und könnten nicht in einer Familie untergebracht werden", erinnert sich die Ludwigshafenerin.Ihr Bruder kam schließlich in der Familie eines Bauern aus Langsur unter, sie bei der Familie Bamberg, die sich beim Ortsbürgermeister für die Aufnahme eines "BASF-Kindes" gemeldet hatte.

Am nächsten Morgen wurde der Trennungsschmerz von Christa gelindert: "Ich spürte die Liebe, die mir entgegengebracht wurde und mir kamen die Tränen, als man mich in den Arm nahm und mit viel Geduld tröstete."

Ihre "Ersatzmutter" Anna Bamberg lebt nicht mehr, dennoch spricht Christa auch heute noch oft von "meiner geliebten Tante Anna". Auch die 18-jährige Tochter der Bambergs, Anneliese, habe sich rührend um sie gekümmert, mit ihr sogar das Zimmer geteilt. Ihr Bruder sei viel bei ihr gewesen, auch um ihn hätten sich die Bambergs liebevoll gekümmert.

"Die Kinder vom Dorf holten mich zum Spielen ab, und nach anfänglichen Sprachschwierigkeiten haben sich tolle Freundschaften entwickelt", erinnert sich Christa Schneider, deren Mädchenname Danter war. Als Stadtkind habe sie besonders die Freiheit im Dorf genossen und die vielen Tiere - es gab Kühe, Hühner, Schweine und Katzen.Bis Christa mit 14 in die Lehre ging, sei sie jedes Jahr in den Ferien gekommen, sagt Anneliese Schaller, geborene Bamberg, die jetzt in Wasserbilligerbrück lebt. Christa sei für sie, die selber vier ältere Brüder hatte, wie eine Schwester gewesen. Insgesamt waren sieben "Verschickungs-Kinder", sechs Jungen und ein Mädchen, in Langsur aufgenommen worden.

Die Freundschaft der Familien Schneider und Schaller besteht bis heute. Sie besuchen sich gegenseitig; Anneliese Schallers Sohn durfte öfter mit den Schneiders in Urlaub fahren - "Kinderverschickung" einmal andersherum.

Fast allen Langsurern ist "Christa" ein Begriff geworden. Über die Zeitung möchte sich die Ludwigshafenerin 60 Jahre nach dem verheerenden Unglück bei allen Bewohnern dafür bedanken, dass sie mit offenen Armen empfangen wurde, auf ihrem Weg "von der Hölle ins Paradies".

Extra: Explosions-Katastrophe am 28. Juli 1948 bei der BASF
Die Kesselwagen-Explosion forderte 207 Menschenleben und 3818 Verletzte, 3122 Gebäude wurden in Mitleidenschaft gezogen. Um 15.43 Uhr wurde die Explosion durch einen Kesselwagen ausgelöst, der mit rund 30 Tonnen Dimethylether befüllt war. Er war seit dem frühen Morgen nahe dem Hauptverwaltungsgebäude der BASF abgestellt und den ganzen Tag über der Sommerhitze ausgesetzt gewesen. Seine Kapazität war falsch berechnet worden, und infolge des Druckanstiegs gab eine Schweißnaht nach. Zunächst trat an der Schadstelle eine kleine Menge Gas aus. Dessen spätere Entzündung führte zu der verheerenden Explosion. (alf)

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