Weidetiere als ökologisches Gegengewicht

Ensch/Schweich · Welche Auswirkungen hat der geplante Bau des Pumpspeicherkraftwerks an der Mosel auf die Umwelt? Das soll in einem Raumordnungsverfahren geklärt werden, das demnächst beginnt. Die Gemeinde Ensch möchte, dass die Eingriffe in die Natur möglichst ortsnah ausgeglichen werden.

Ensch/Schweich. Johann Müller ist kein Umweltaktivist, auch kein notorischer Revoluzzer. Wenn der 70-jährige gelernte Schlosser und frühere Betriebsrat bei Reynolds Tobacco mahnende Worte zum geplanten Pumpspeicherkraftwerk (PSKW) nahe seines Heimatortes Ensch äußert, dann in erster Linie aus Sorge um die Natur. Müller ist nicht grundsätzlich gegen das Mega-Projekt (siehe Extra), das die Stadtwerke Trier vor gut einem Jahr publik gemacht haben. Ihm wird jedoch zu wenig darüber diskutiert: "Da sind riesige Eingriffe in unberührte Naturlandschaften geplant, aber das wird nicht hinterfragt." Im Regionalen Raumordnungsplan werden die betroffenen Flächen als bedeutende oder sehr bedeutende Arten- und Biotop-Schutzbereiche eingeordnet.
Das Kautenbachtal: Am Herzen liegt Müller besonders das Kautenbachtal, ein Seitental der Mosel. Es ist bewachsen mit Erlen, Weiden und Eichen, auch Kirsch- und Walnussbäume gibt es in der s-förmigen engen Schlucht zwischen Hummelsberg und Ensch. Dort soll das Unterbecken des Kraftwerks hinkommen. Rund sechs Millionen Kubikmeter Wasser werden dann das Kautenbachtal in eine riesige Badewanne verwandeln. Nur noch die obere Baumreihe des Mischwaldes wird zu sehen sein. Etwa 500 Meter oberhalb von Ensch schottet ein 55 Meter hoher Damm die Wassermassen ab. 50 Hektar Land werden für das Unterbecken benötigt, 60 bis 80 Hektar sind es für das 200 Meter höher liegende Oberbecken bei Bekond.
Die Ausgleichsflächen: Ja, es gebe einige kritische Stimmen im Dorf, räumt der Enscher Ortsbürgermeister Lothar Schätter ein, aber die weitaus meisten Bürger würden das Projekt positiv sehen. "Das heißt aber nicht, dass wir alles tolerieren", sagt Schätter. Der Gemeinderat fordere ein Flurbereinigungsverfahren, das die gesamte Gemarkung einbeziehe. Auch lege man großen Wert darauf, dass die Eingriffe in die Umwelt auch möglichst ortsnah wieder ausgeglichen werden.
Welche Ausgleichsflächen in frage kommen könnten, lässt die Verbandsgemeinde Schweich derzeit ermitteln und kartieren. Das Leitbild "WeinKulturLandschaft" soll aktualisiert werden. Es stammt aus dem Jahr 2002; seither wurden viele Weinbergsflächen aufgegeben.
Landschaftsplaner Bernhard Gillich (Büro BGHplan Trier) schätzt, dass zur Kompensation des PSKW rund 140 Hektar Ausgleichsflächen benötigt werden. Man wolle durch das Umlegungsverfahren möglichst viele zusammenhängende Brachflächen bekommen.
Deren Aufwertung sei etwa durch die Beweidung mit "alten Rinderrassen oder halbwilden Pferden" möglich. Schwerpunkt soll laut Gillich bei Ensch sein, weil Ensch auch die größten Belastungen bei Umwelt und Landschaft zu tragen habe.
Bürgerbeteiligung geplant: Die Stadtwerke haben ihr Großprojekt bereits in Schweich und Ensch der Öffentlichkeit präsentiert (der TV berichtete). Das Raumordnungsverfahren, in dem die Auswirkungen des Projekts geprüft werden (siehe Extra), soll demnächst eröffnet werden. Laut Stadtwerke sind die Unterlagen Ende April zur Vollständigkeitsprüfung an die Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord gegangen. Dabei hätten sich noch einige Punkte ergeben, die angepasst oder ergänzt werden müssten. Für Ende Mai habe die SGD einen Termin mit den Fachbehörden festgelegt Die Umsetzung der Bürgerbeteiligung werde derzeit mit den Behörden abgestimmt.
Meinung

Die zwei Seiten der Medaille
Wer für den Ausbau erneuerbarer Energien ist, der muss konsequenterweise auch den Bau von Pumpspeicherkraftwerken gutheißen. Schließlich soll der Strom ja ökonomisch verwendet werden und dann zur Verfügung stehen, wenn er gebraucht wird. Das ist die schöne Seite der Medaille. Wer die weniger schöne Seite kennenlernen möchte, sollte sich einmal das Kautenbachtal bei Ensch anschauen. Besonders jetzt, wo die Bäume blühen und die Wiesen saftig grün sind, blutet einem das Herz, wenn man sich vorstellt, dass diese unberührte Landschaft in einigen Jahren ausgelöscht sein wird - begraben unter Millionen Kubikmetern Wasser. Der Preis, den wir für das Kraftwerk zahlen, ist hoch. Da können auch die ökologischen Ausgleichsmaßnahmen anderenorts nicht darüber hinwegtäuschen. Dennoch gibt es keine Alternative. Wir haben halt hier keine unansehnliche Mondlandschaft, wo Eingriffe verschmerzbar wären. Glücklicherweise. a.follmann@volksfreund.deExtra

Funktion: Das PSKW nutzt die Kraft des Wassers im Gefälle zwischen zwei auf unterschiedlicher Höhe liegenden Becken. Herrscht im Leitungsnetz ein Stromüberangebot, wird mit dem überschüssigen Strom das Wasser vom unteren Becken ins Oberbecken gepumpt. Übersteigt die Nachfrage die Stromproduktion, läuft das Speicherwasser vom Oberbecken zurück ins Unterbecken und treibt dabei die Turbine mit Generator an. Leistung: Das PSKW soll 300 Megawatt leisten und damit den Strombedarf von rund einer halben Million Menschen gewährleisten. Kosten: 450 bis 500 Millionen Euro. Zeitplan: 2012 Raumordnungsverfahren, Ende 2012 Beantragung Planfeststellung, 2015 Planfeststellungsbescheid, 2015 Ausführungsplanung und Ausschreibung, ab 2016 Bau, 2019/20 Inbetriebnahme. alfExtra

Das Raumordnungsverfahren (ROV) klärt, ob eine geplante Maßnahme mit den Grundsätzen des Raumordnungsgesetzes vereinbar ist. Das gilt für eine neue Autobahn genauso wie für die Erweiterung von Steinbrüchen (aktuell Mesenich) oder den Bau eines Kraftwerks. Bestandteil des ROV ist der Erörterungstermin, bei dem Einwände gegen ein Projekt/eine Planung diskutiert werden. (alf)

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