Arbeitskampf droht

Nach einem kontroversen Schlichterspruch droht im öffentlichen Dienst ein flächendeckender Arbeitskampf. Die Schlichtungskommission schlug am Donnerstag in Friedrichshafen gegen die Stimmen der Gewerkschaften insgesamt sechs Prozent mehr Einkommen für zwei Jahre, Einmalzahlungen und längere Arbeitszeiten im Westen vor.

Friedrichshafen/Berlin/Trier. (dpa/alf) Über den Schlichterspruch für die 1,3 Millionen Angestellten in Bund und Kommunen wollen die Tarifparteien am Wochenende in Potsdam beraten. Dann wird sich entscheiden, ob es zum Streik kommt oder ein Arbeitskampf noch abgewendet werden kann.Die Kommission unter Vorsitz des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth (CDU) und von Hannovers ehemaligem Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) hatte zwei Wochen an einem geheim gehaltenen Ort getagt und bis Donnerstagmorgen verhandelt. Späth, der für die Arbeitgeberseite vermittelte, rief die Gewerkschaften zum Einlenken auf. "Ich appelliere an die Gewerkschaften, sich das Ergebnis noch mal in Ruhe anzugucken." Verdi-Chef Frank Bsirske nannte die Schlichtungsempfehlung "in dieser Form nicht akzeptabel". Er betonte: "Die Weichen stehen auf Streik." Der Vorschlag bedeutet nach Bsirskes Ansicht weiteren Reallohnverlust und "eine Fortsetzung der Politik zulasten der Arbeitnehmer". Eine Verlängerung der Arbeitszeit koste zudem Arbeitsplätze, kritisierte er. Die Verdi-Tarifkommission will am Freitag den Schlichterspruch bewerten. Sollte es am Wochenende keine Einigung geben, will Bsirske vorschlagen, die Urabstimmung für einen Streik einzuleiten. Sie könnte am 1. April beginnen, Streiks am 12. April. Der Vorsitzende der Tarifunion des Beamtenbundes DBB, Frank Stöhr, forderte die Arbeitgeber auf, "ihre Arbeitszeitideologie in die Mottenkiste zu packen". Nach dem Schlichtervorschlag soll das Einkommen im Westen zum 1. April um vier Prozent und im Osten ab 1. August ebenfalls um vier Prozent steigen. Zum 1. Januar 2009 schlägt die Kommission eine zweiprozentige Erhöhung für alle 1,3 Millionen Tarifangestellten vor. Im Westen soll die Arbeitszeit in den Kommunen um eine Stunde und im Bund um eine halbe Stunde auf 39,5 Wochenstunden angehoben werden. In den Ost-Kommunen soll es bei der 40-Stunden-Woche bleiben. Die Kommission sieht zudem eine Einmalzahlung von 450 Euro zum April 2008 für die unteren und mittleren Einkommensgruppen vor. Im Juli 2009 soll eine weitere Einmalzahlung von 450 Euro für alle folgen. Hohe Mehrbelastung für Städte und Kreise

Verdi und die DBB-Tarifunion hatten acht Prozent für ein Jahr, mindestens aber 200 Euro im Monat gefordert. Die Arbeitgeber hatten fünf Prozent für zwei Jahre bei einer Anhebung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden bundesweit geboten. Vor der Schlichtung hatte es fünf Verhandlungsrunden gegeben, die zeitweise von Warnstreiks begleitet waren. Würden die Tarifparteien den Schlichterspruch annehmen, dann kämen auf die öffentlichen Haushalte hohe Mehrbelastungen zu. Die meisten Gebietskörperschaften in der Region haben für 2008 Lohnerhöhungen von rund drei Prozent für ihre Angestellten eingeplant. Der Haushalt 2008 der Stadt Trier, ohnehin schon mit einem Defizit von 28 Millionen Euro versehen, müsste bei einer vierprozentigen tariflichen Anhebung für die rund 900 Bediensteten Mehrausgaben von über einer halben Million Euro verkraften - inklusive Sonderzahlungen. 2009 schlagen weitere 1,4 Millionen Euro zu Buche.Auch die finanziell arg gebeutelten Kreise müssten für ihre Beschäftigten tiefer in die Tasche greifen. 2,9 Prozent hatte Trier-Saarburg an Mehrkosten für 2008 in den Etat eingestellt, was 80 000 Euro entspricht. Würde der Schlichterspruch greifen, kämen rund 100 000 Euro hinzu; 2009 schlagen die Einmalzahlungen besonders kräftig zu Buche, weil dann nicht nur die unteren Einkommensgruppen, sondern alle 280 Mitarbeiter in den Genuss der 450 Euro kämen. Prognostizierte Mehrkosten hier: 200 000 Euro. Ähnlich ist die Lage im Eifelkreis, wo in zwei Jahren rund 400 000 Euro mehr an Personalkosten fließen müssten. Noch keine Tariferhöhung hat der Kreis Bernkastel-Wittlich für seine Beschäftigten eingeplant. Zu den 8,7 Millionen Euro Personalkosten im Haushalt 2008 kämen - gesetzt der Schlichterspruch würde angenommen - weitere 318 000 Euro hinzu; 2009 wären es noch einmal 230 000 Euro. Meinung Den Bogen nicht überspannen Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi lässt die Muskeln spielen. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, dann ist ein Streik im öffentlichen Dienst ab Mitte April unausweichlich. Den meisten Bürgern dürfte diese Nachricht kaum einleuchten. Tarifverhandlungen leben von der Bereitschaft zum Kompromiss. Der Schlichtervorschlag berücksichtigt nicht nur die Interessen der Arbeitgeber, sondern auch die der Arbeitnehmer angemessen: 2008 vier Prozent mehr Gehalt, 2009 noch einmal zwei Prozent plus. Hinzu kommen Einmalzahlungen. Davon träumen Beschäftigte in anderen Branchen. Da ist es auch kein Gegenargument, wenn die öffentlich Bediensteten in den alten Bundesländern für den Gehaltsschub bis zu 60 Minuten pro Woche länger arbeiten sollen. Damit würden sie eine halbe Stunde unter dem Niveau ihrer Kollegen in den ostdeutschen Kommunen bleiben. Die Arbeitnehmervertreter müssen aufpassen, dass sie den Bogen nicht überspannen. nachrichten.red@volksfreund.de

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