"Auch viele Chefs sind Fußballfans" - Die Region diskutiert über die Forderung nach flexiblen Arbeitszeiten zur WM

Trier · Normalerweise fordern Arbeitgeber von ihren Mitarbeitern mehr Flexibilität. Vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien ist es umgekehrt. Grund: die Zeitverschiebung, wegen der Spiele bei uns erst spätabends zu sehen sind. Wir haben die Betroffenen nach ihrer Meinung gefragt.

IHK-Geschäftsführer Matthias Schmitt: Die Betriebe finden hierzu am besten selbst gemeinsam mit ihren Mitarbeitern pragmatische Lösungen. Von Überstundenabbau bis Schichttausch kann da die Palette reichen. Ein Anspruch für Mitarbeiter, später zur Arbeit zu kommen, besteht nicht. Und niemand wird hoffentlich ernsthaft fordern, dass Unternehmen Störungen der Betriebsabläufe oder wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen sollten, damit Mitarbeiter nachts Fußball schauen können.

DGB-Regionsgeschäftsführer Christian Z. Schmitz: Das ist ein innovativer Ansatz. Wenn die Arbeitgeber Flexibilität fordern, sollte dies auch umgekehrt gelten. Allerdings sollten die Regelungen in gegenseitigem Einvernehmen getroffen werden.

Marta Filipczyk, Sprecherin Mainzer Arbeitsministerium:
Eine Verschiebung des Schichtbeginns oder der Kernarbeitszeiten während der Fußball-WM kann eine wertschätzende Geste eines Arbeitgebers seinen Mitarbeitern gegenüber sein. Die Entscheidung darüber muss jedoch auf freiwilliger Basis in den Unternehmen getroffen werden.

Armin Bertsch, Fußballverband Rheinland : Wir würden uns freuen, wenn von Arbeitgeberseite die Belange der Fußballfans Berücksichtigung finden würden. Die WM 2006 hat gezeigt, dass diese Bereitschaft durchaus gegeben ist. Entscheidend wird sein, wie sich Deutschland sportlich präsentiert und wie weit wir kommen. Spätestens dann wird das Fußballfieber um sich greifen und die Public-Viewing-Veranstaltungen werden sich füllen. Wir gehen davon aus, dass die meisten Fans, die wollen, dann zuschauen können, denn: Auch viele Chefs sind Fußballfans und halten die Daumen für unser Team.

JTI-Sprecherin Ulla Herburg: Wir ermöglichen es unseren Mitarbeitern auch bei der WM 2014, die Spiele der deutschen Nationalmannschaft zu verfolgen. Wir übertragen sie über das Kantinenfernsehen. Damit der Produktionsablauf nicht gestört wird, besprechen die arbeitenden Gruppen dies jeweils mit ihren Schichtleitern.

Theo Scholtes, Personalchef Bitburger: Unsere Braugruppe hat hinsichtlich flexiblerer Arbeitszeiten während der Fußball-WM in Brasilien noch keine abschließende Regelung getroffen.Kontra: Im Land der Mimosen

Ja geht's noch? Willkommen im Land der Dichter, Denker und Weicheier. Wer abends lang vor dem Fernseher sitzt, kann morgens nicht arbeiten. Na gut, fangen wir halt später an. Vielleicht serviert der Chef dann noch ein kleines Katerfrühstück mit Aspirin und saurem Hering.

Im Ernst: Natürlich kann man sich in jeder Firma verständigen auf das, was man für richtig hält. Aber dass sich hierzulande Arbeiterführer damit profilieren wollen, dass sie die werktätigen Massen vor Übernächtigung und Schlafmangel schützen, wirft ein seltsames Licht auf den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Wer Party machen will, muss halt frei nehmen. Oder andersrum, wie mein Chef beim Briefträger-Job immer sagte: Wer will saufen, kann auch laufen.

Wenn Jogis Jungs so wehleidig sind wie der arbeitende Fan zu Hause, dann wird das Ganze sowieso zu einem Streit um des Kaisers neuen Bart. Dann sind sie nämlich nach der Vorrunde draußen. Und da spielen sie kein einziges Mal bis Mitternacht.
d.lintz@volksfreund.dePro: Gut fürs Betriebsklima

Arbeitgeber sollten während der Fußball-WM keine Spielverderber sein. Wer abends lange Fernsehen glotzt und dazu das eine oder andere verdiente Bierchen trinkt, ist halt frühmorgens weniger fit. Das kann sich auf die Produktivität auswirken: Unkonzentrierte Mitarbeiter machen zu viele Fehler. Gut, dass mancher Verbandsvertreter das kapiert hat und flexible Arbeitszeiten richtig findet. Das heißt ja nicht, dass Aufgaben unerledigt bleiben. Manches wird eben später am Arbeitstag angegangen, das ist gut für die Firma und gut fürs Betriebsklima: Schließlich ist die Mehrheit der Deutschen interessiert an der Weltmeisterschaft in Brasilien. Und, liebe Unternehmer, wie sähe das auch aus: Party auf den Straßen und Public Viewing bis nach Mitternacht, Autofähnchen an jedem zweiten PKW, aber spaßfreie Zone auf Arbeit? Dann doch lieber flexibel sein.
oht@volksfreund.de

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Auf der Facebook-Seite des Trierischen Volksfreunds sorgt der Vorschlag von Gewerkschafter Reiner Hoffmann nach flexibleren Arbeitszeiten während der WM für reichlich Gesprächsstoff. In den meisten Kommentaren kommt der Vorschlag nicht gut an, einige glauben an einen verspäteten Aprilscherz. Ein Leser mit dem Benutzernamen "Peter Spang" schreibt von "Populismus". Vor allem, dass es ausgerechnet für König Fußball eine Ausnahme geben soll, führt zu Spott. Einige schimpfen auch auf Hoffmann. Grundtenor: Wer Fußball gucken kann, kann auch arbeiten. "Typisch deutsch" sei dieser Vorschlag, schreibt der TV-Leser mit dem Nutzernamen "Jürgen Coen". Ein anderer erklärt: "Ich kann auch nicht später zur Arbeit kommen, nur weil ich am Vortag Paintball spielen war." Ein Nutzer bringt es so auf den Punkt: "Fußball darf nicht den Alltag lahmlegen." Einen deutlichen Vergleich findet User "Elmar Dietrich": "Den Lohn überweise ich dann auch später, wenn Geld da ist ...." Eine Leserin: "Welcher Gewerkschaftler setzt sich bitteschön für Mütter ein?" Als sie zu spät gekommen sei, weil sie ihr krankes Kind habe versorgen müssen, sei sie vom Arbeitgeber abgemahnt worden. Eine andere Nutzerin macht einen ironisch gemeinten Vorschlag: Sie möchte später zur Arbeit kommen, "wenn ein Rosamunde-Pilcher-Film läuft". Als einer der wenigen, die dem Vorschlag positiv gegenüberstehen, schlägt Leser "Kuhsänngg Knürr" vor, während der WM in Brasilien Gleitzeit einzuführen. So könne jeder selbst entscheiden, ob er später zur Arbeit kommt. cli volksfreund.de/extra Extra: Die Spiele

Bei der WM beginnen knapp die Hälfte der 64 Begegnungen erst um 22 Uhr deutscher Zeit oder später. Deutschland (Gruppe G) spielt in der Gruppenphase am 16. Juni um 18 Uhr gegen Portugal (Ortszeit: 13 Uhr). Am 21. Juni wird um 21 Uhr das deutsche Match gegen Ghana angepfiffen; die USA spielen am 26. Juni um 18 Uhr gegen die Deutschen. Erreicht Deutschland das Achtelfinale, wird es aber später: Anpfiff wird dann um 22 Uhr sein. Spielplan auf: de.fifa.com

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