"Bahn droht Personalbbau"

Ausgerechnet in der Hauptreisezeit müssen sich Bahnkunden auf einen weiteren Streik der Lokführer einstellen. Nach den festgefahrenen Tarifverhandlungen will die Lokführer-Gewerkschaft GDL dazu am heutigen Montag eine Urabstimmung unter ihren Mitgliedern einleiten.

Berlin. (vet) Die GDL fordert Lohnsteigerungen von 31 Prozent. Nach Einschätzung der Verkehrsexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, droht deshalb ein spürbarer Personalabbau bei der Bahn. Mit ihr sprach unsere Korrespondent Stefan Vetter:Frau Professor Kemfert, können Sie die kräftige Lohnforderung nachvollziehen? Kemfert: Nein. Ich halte sie für völlig überzogen. Schon eine Tarifsteigerung von über sieben Prozent würde nach unseren Berechnungen bei der Bahn zu Beschäftigungsverlusten von bis zu 1500 Personen pro Jahr führen.Warum will die Bahn unbedingt ein einheitliches Tarifwerk erhalten? Kemfert: Mit Transnet, GDBA und GDL gibt es gleich drei Bahngewerkschaften, was der Bahn das Tarifgeschäft zweifellos erschwert. Wenn die Lokführer nun deutlichere Lohnsteigerungen durchsetzen würden als die bereits ausgehandelten 4,5 Prozent für alle Bahnmitarbeiter, dann wäre dieser Tarifvertrag automatisch hinfällig. Die Lokführer, die nicht in der GDL, sondern bei Transnet organisiert sind, würden dann natürlich auch auf mehr Geld drängen. Das heißt, die Verhandlungen gingen wieder von vorn los, und alles wäre noch komplizierter.Und am Ende müsste die Bahn einen generell höheren Tarifabschluss verkraften. Kemfert: Genau so ist es. Auch Piloten haben wegen ihrer besonderen Verantwortung einen eigenen Tarifvertrag. Weshalb sollte das nicht für Lokführer gelten? Kemfert: Das führt uns zu der Frage, was eine gerechte Entlohnung für bestimmte Tätigkeiten ist. Auch jeder Brummifahrer hat eine große Verantwortung. Das gilt ebenso für Krankenschwestern und Pfleger, obwohl deren Bezahlung wahrlich nicht üppig ist. Insofern kann man immer über die Vergütung einzelner Berufsgruppen streiten.Mit rund 2000 Euro Brutto im Monat fühlen sich die Lokführer besonders benachteiligt. Kemfert: Dabei wird aber vergessen, dass Lokführer, die bei anderen Wettbewerbern beschäftigt sind, noch deutlich weniger bekommen. Das gilt zum Beispiel für die Lausitz-Bahn oder die Prignitzer Eisenbahn. Es spricht ja auch nichts gegen eine Vergütungssteigerung an sich, nur muss sie angemessen sein.Welche Konsequenzen hätte ein unbefristeter Streik des Lokpersonals? Kemfert: Sollte deutschlandweit kein Zug mehr fahren, müsste die Bahn Umsatzeinbußen beim Personenverkehr von rund 27 Millionen Euro pro Tag verkraften. Beim Güterverkehr wären es etwa 15 Millionen Euro pro Tag. Der Schaden für die Volkswirtschaft lässt sich schwer beziffern. Aber die fälligen Transaktionskosten für Bahnreisende zum Beispiel durch den Umstieg auf andere Beförderungsmittel bis hin zu den Arbeitsausfällen in anderen Bereichen können sich auf mindestens 500 Millionen Euro pro Tag summieren.Wäre der geplante Börsengang der Bahn durch einen längeren Streik gefährdet? Kemfert: Nein. Ein Abschluss von 31 Prozent Lohnsteigerung ist völlig unrealistisch. Auf jeden Fall muss die Bahn schuldenfrei an die Börse gehen. Wenn es zu zusätzlichen Kostenbelastungen kommt, wird die Bahn diesen Kostendruck in erster Linie durch einen spürbaren Abbau des Personals kompensieren.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort