Bauernopfer Bahn-Manager

BERLIN. Flucht nach vorn nennt man das Prozedere bei der Deutschen Bahn. Denn für die Misere infolge des neuen Preissystems wurden zwei Spitzenmanager verantwortlich gemacht und entlassen. Bahnchef Hartmut Mehdorn dagegen wurde vorzeitig der Vertrag verlängert.

Es war im April, da soll sich der Bundeskanzler ziemliche Sorgen um die Lage bei der Bahn gemacht haben. Damals hieß es aus dem Kanzleramt, man beobachte den Streit um die Tarifreform ganz genau, damit aus Bahn-Chef Hartmut Mehdorn kein zweiter Fall Sommer werde. Die Bundesregierung war letztes Jahr unter Druck geraten wegen ihres miserablen Umgangs mit dem erfolglosen Telekom-Boss Ron Sommer. Im Fall Mehdorn sollte sich dies also nicht wiederholen - so wurde dessen Vertrag über das Jahr 2004 hinaus vorzeitig verlängert. Gefeuert wurden hingegen vom Aufsichtsrat des bundeseigenen Unternehmens zwei Spitzenmanager: der für den Personenverkehr zuständige BahnvorstandChristoph Franz und der Marketing-Vorstand Hans Gustav Koch. Die beiden zeichnen sich verantwortlich für das Mitte Dezember 2002 mit viel Tamtam eingeführte Preissystem, das bei den Eisenbahnern selbst inzwischen als Misserfolg angesehen wird. Lange hatte sich Konzernboss Mehdorn gegen diese Einschätzung gewehrt, die Proteste von Verbraucherverbänden, Bahnexperten und den Kunden mit Ausnahme von ein paar Schönheitskorrekturen barsch weggewischt. Inzwischen hat aber auch der Freund von Kanzler Schröder eingesehen, dass die Tarifneuerung mit ihrem komplizierten und unflexiblen Rabattsystem zum Flop geworden ist. In den ersten Monaten 2003 ist das Unternehmen nämlich tief in die roten Zahlen gerutscht, vor allem wegen des Umsatzeinbruchs im Fernverkehr - die Fahrgastzahlen sind rapide gesunken. Ergebnis: Im Jahr 2003 hatte die Bahn den Verlust auf 200 Millionen Euro begrenzen wollen, von Januar bis Ende März weist der Konzern jedoch schon ein Minus von 185 Millionen Euro aus. Für das Unternehmen eine katastrophale Bilanz, und der von Mehdorn so energisch ins Visier genommene Börsengang Ende 2004 mit einer dann profitablen Bahn ist wohl nur noch Wunschdenken. Die Bahn musste deswegen gestern die Notbremse ziehen. Mehdorn kündigte eine "kundenfreundliche Überprüfung" der Tarife an, als Sofortmaßnahme soll die Umtauschgebühr bei Frühbuchertickets gesenkt werden. Aber auch die Politik - mit vier Staatssekretären im Aufsichtsrat der Bahn vertreten - hat mittlerweile ihren Druck auf den 60-Jährigen Spitzenmanager erhöht. Verkehrsminister Manfred Stolpe sagte gestern deutlich: Das Unternehmen habe sich verkalkuliert. Er gehe davon aus, dass das Preissystem umgestaltet und kundenfreundlicher werde, schrieb der dem Manager ins Stammbuch. Zwar wollte die Bahn einen ausführlichen "Lagebericht" zu den neuen Preise abwarten - nun soll möglichst schnell gehandelt werden.

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