Bei Anruf Frust

TRIER. Viele fühlen sich geneppt, trotzdem machen immer mehr bei den Gewinnspielen im Fernsehen mit: Am Sender Neun Live scheiden sich die Geister. Doch Geld lässt sich mit dem Mitmachfernsehen offenbar verdienen.

"Addieren Sie alle möglichen Zahlen: 1, 1, 2, 3, 4." Was auf den ersten Blick simpel scheint, erweist sich zumindest in der Version des selbst ernannten Mitmachsenders Neun Live als hochkomplizierte Aufgabe, die höchstens noch von einem Informatiker zu lösen ist. Denn wer glaubt, mit der Lösung elf richtig zu liegen und schnell mal ein paar hundert Euro bei dem Quizsender einzustreichen, wenn er dort anruft, der muss sich eines Besseren belehren lassen. Abgesehen davon, dass er, wie immer wieder verärgerte Zuschauer - etwa T V-Leser Max Bartholomay - berichten, wahrscheinlich gar nicht erst bis zu dem ständig quasselnden Moderator ins Studio durchgestellt wird und nur auf einem Anrufbeantworter landet. 1802153,2592 wäre nämlich die richtige Antwort, weil wirklich alle Zahlen, die man mit den fünf Ziffern bilden kann (selbst die Kommazahlen) addiert werden müssen. Angestachelt von einem pausenlos redenden Moderator, der einen glauben machen will, dass niemand anruft, greifen Tag für Tag Millionen Zuschauer zum Hörer und hoffen, ein paar hundert Euro einzustreichen. Mit solchen oder ähnlichen Fragen ("Wo stecken die Fehler im Bild?", "Welche Punkte liegen genau auf der Kreislinie?") werden die Zuschauer bei Neun Live und neuerdings auch im Deutschen Sportfernsehen (DSF) angelockt. Sie würden regelrecht süchtig gemacht, kritisieren Verbraucherschützer. Neun Live warnt daher auf seiner Homepage vor "übermäßigem Telefonierverhalten": "Kontrollieren Sie regelmäßig Ihre Telefonkosten. Sie haben die Möglichkeit, 01379-Nummern durch Ihren Netzbetreiber sperren zu lassen." Zudem könne man an allen Spielen auch per Postkarte teilnehmen, heißt es in den Mitmachregeln. Denn den Vorwurf des Abzockens oder gar Betrugs - entsprechende Ermittlungen gegen Neun Live wurden übrigens gestern eingestellt - will man nicht auf sich sitzen lassen. Alles sei seriös, versichert Sender-Justiziar Conrad Albert. Immerhin spiele man rund 27 000 Euro pro Tag an Gewinnen aus. Jeder Anruf bei Neun Live kostet 49 Cent, auch wenn man nur einen Anrufbeantworter an der Strippe hat. Geschätzte 40 Millionen Euro verdient der Sender so jährlich. Branchenkenner rechnen damit, dass 70 Prozent der Anrufgebühren an Neun Live gehen.Erlöse aus Anrufgebühren und Sex-Werbung

Das dürfte auch der Grund sein, warum der Sender den Anbieter der Hotline gewechselt hat. Bisher wurden die Anrufe über die Telekom abgewickelt. Neuerdings arbeiten die Münchner Fernsehmacher mit Talkline ID zusammen. Und das nicht nur, weil man laut Albert mit der Telekom unzufrieden war, sondern weil Talkline angeblich bessere Gewinnbeteiligungen anbietet. Der Rest der Erlöse des Ex-Frauensenders stammt überwiegend aus der Werbung für Sex-Hotlines, die nach Mitternacht über die Neun-Live-Bildschirme flimmert. Senderchefin Christiane zu Salm, ehemals Geshäftsführerin beim Musikkanal MTV Europe, wurde für ihre Idee zunächst belächelt. Doch im vergangenen Jahr setzte die 37-Jährige mit ihrer Produktionsfirma Euvia Media AG, die neben Neun Live auch den Reiseverkaufskanal "sonnenklar TV" betreibt, satte 92,3 Millionen Euro um. Was brennt Ihnen auf den Nägeln? Mailen Sie: thema@volksfreund.de Wir bringen es voran!

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