Beitragssenkung als patriotische Pflicht

BERLIN. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die gesetzlichen Krankenkassen am Sonntag massiv zur Senkung ihrer Beiträge gedrängt. "Die Kassen müssen und sollen die Überschüsse für Beitragssenkungen einsetzen", sagte er.

Nach Ansicht des Bundeskanzlers müssten die Krankenkassen geradezu eine patriotische Pflicht zur Beitragssenkung verspüren. Gerhard Schröder hält es in diesem Zusammenhang mit einem berühmten Ausspruch des einstigen US-Präsidenten John F. Kennedy: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst." So viel Pathos in den Niederungen der Tagespolitik ist ungewöhnlich und zunächst auch irritierend. Schließlich hat der Bundestag eben erst ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Kassen im Juli 2005 zu einer Beitragssenkung um 0,9 Prozent verpflichtet. Das geht den Assekuranzen natürlich gegen Strich. Doch im Kern handelt es sich um eine reine Umfinanzierung: Weil die Versicherten den Zahnersatz und das Krankengeld künftig allein bezahlen müssen, soll ihr Kassenbeitrag im gleichen Umfang sinken. Der Vorstoß des Kanzlers zielt auf einen Aspekt, der nicht per Gesetz zu regeln ist: Er habe einfach die "Erwartung" geäußert, dass die Assekuranzen ihre Überschüsse als Beitragssenkung an die Versicherten weiter geben. So interpretierte Regierungssprecher Thomas Steg gestern ein entsprechendes Fernseh-Interview seines Chefs. Darin drohte Schröder den Kassenverantwortlichen auch mit "einer harten Auseinandersetzung". Tatsächlich ist der Regierungschef über die Assekuranzen tief verärgert. Geht doch der Trend bei den Beiträgen in jüngster Zeit sogar wieder nach oben. Nach einer Untersuchung der Verbraucherzeitschrift "Öko-Test" haben 34 Kassen zwischen April und September ihre Sätze erhöht. Nur zwölf meldeten eine Senkung. Und das, obwohl die gesetzliche Krankenversicherung im ersten Halbjahr einen satten Überschuss von 2,5 Milliarden Euro erwirtschaftete. Auch für Ulla Schmidt ist das ein schreiender Widerspruch: "Vorhandene Spielräume" für eine Beitragsreduzierung würden "bislang bei weitem nicht ausgeschöpft", befindet die Gesundheitsministerin und fordert von den Instituten, Beitragssenkungen "noch in diesem Herbst umzusetzen".Keine Wende zum Besseren erwartet

Schmidts Drängen ist verständlich. Mit der Gesundheitsreform sollte der durchschnittliche Beitragssatz aller gesetzlichen Kassen schon bis zum Jahresende bei 13,6 Prozent liegen. Doch in Wirklichkeit dümpelt er bei 14,2 Prozent. Und auch für 2005 erwartet der Schätzerkreis der Krankenkassen keine Wende zum Besseren. Zur Begründung verweisen die Assekuranzen auf ihre gesetzliche Verpflichtung zum Schuldenabbau. Geregelt ist freilich nur, dass die Verbindlichkeiten bis 2007 getilgt sein sollen. Und nach Schmidts Überzeugung liegen die Kassen hier schon weit über Plan. Sie beziffert die anfänglichen Gesamtschulden auf sechs Milliarden Euro. Davon seien noch 3,5 Milliarden übrig. Kassen und Opposition halten diese Rechnung für abwegig. Der CDU-Sozialexperte Andreas Storm warnt vor all zu viel Optimismus: "Der Bundeskanzler suggeriert einen gewaltigen Spielraum für Beitragssenkungen, den es überhaupt nicht gibt."

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