Bürger beraten Brüsseler Bürokraten

BRÜSSEL. Laien als Politik-Berater: Die Europäische Union will Bürokratie abbauen und spannt dabei die Bürger als Experten ein. Sie können im Internet Beispiele für EU-Vorschriften nennen, die sie für problematisch halten.

Bestimmungen über die Höhe von Traktor-Sitzen, Vorgaben für Fenster in Dunkelkammern oder die berühmte Regelung, nach der Bananen in einem bestimmten Winkel gekrümmt sein müssen: Über Vorschriften der Europäischen Union wird oft und gerne geschimpft - und in allzu vielen Fällen berechtigt. Das sieht man offenbar auch in Brüssel so. Die Europäische Kommission bietet derzeit allen EU-Bürgern die Möglichkeit, ihrem Ärger Luft zu machen: Im Internet können sie bis Ende Dezember Rechtsvorschriften nennen, die sie für problematisch halten - etwa, weil sie Wachstum und Investitionen im Weg stehen oder die Schaffung neuer Arbeitsplätze behindern. Angesprochen sind vor allem Vertreter von Unternehmen aus der Wirtschaft, von Verbänden und Verwaltungen, aber auch alle anderen, die etwas zum Thema beizutragen haben. So dürfte die Umfrage in unserer Region vor allem Bauern eine willkommene Gelegenheit sein, die Probleme europäischer Agrarpolitik an maßgeblicher Stelle zu thematisieren. Unter der Adresse http://europa. eu.int/yourvoice/forms/dispatch?form=418&lang=DE werden neben den Verordnungen selbst beispielsweise die Art der Probleme, mit den Vorschriften verbundene Kosten und die Folgen abgefragt. Alle Beiträge würden von der Kommission analysiert, verspricht deren Präsident José Manuel Barroso. Bürokratie-Abbau zählt im Rahmen der "Lissabon-Strategie", die für mehr Wachstum und Beschäftigung sorgen soll, zu den wichtigsten Zielen der EU. Bisher wurde beispielsweise eine Folgeabschätzung für neue Rechtvorschläge eingeführt, und geltendes Recht wird auf seine Wirksamkeit untersucht. Für Aufsehen sorgte auch die Rücknahme von 68 geplanten Rechtsvorschriften Ende September, die laut Kommission "nicht im Einklang mit den Zielen der neuen, in Lissabon begründeten Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung" standen oder überholt waren (der TV berichtete). Das geplante Aus für das deutsche Sonntagsfahrverbot wanderte bei dieser Gelegenheit ebenso in den Papierkorb wie eine Vorschrift zu Packungsgrößen für Kaffee. Erste Schritte in Richtung Bürokratie-Abbau sind also gemacht. Nun haben Praktiker die Chance, das Tempo zu beschleunigen.

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