"Das Handwerk muss die Nase vorn haben"

Trier · In diesen Tagen jährt sich zum 500. Mal die Geburtsstunde der ersten Handwerksvereinigung in Trier über die Gewerkegrenzen hinaus, die so genannte Schwureinigung. Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), schaut im TV-Interview zurück auf Traditionen und wendet sich zugleich den Herausforderungen in der Zukunft zu.

Trier. 500 Jahre Schwureinigung Trier - die Veranstaltung zeigt, dass das Handwerk eine große Tradition hat. Wie stolz sind Sie als Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks? Wollseifer: Das Handwerk hat sich zu allen Zeiten nicht nur als Wirtschaftsgruppe, sondern auch als gesellschaftlicher Akteur verstanden. Handwerker repräsentierten vor Jahrhunderten schon das aufstrebende Bürgertum, waren wichtiger Ordnungsfaktor. Heute entdecken Politik und Gesellschaft neu die Bedeutung der handwerklichen Selbstverwaltung, insbesondere für die Aus- und Weiterbildung. Das deutsche Handwerk hat also eine hochanständige Herkunft, und das ist eine wichtige Voraussetzung für eine gute Zukunft. Wie modern muss das Handwerk denn sein, um den wirtschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden? Wollseifer: Die Konkurrenz wächst. Handwerk muss also immer die Nase vorn haben. Etwa bei der Digitalisierung der Arbeit. Privatkunden sehen oft nur den Monteur, der im Flur einen Einbauschrank zusammenbaut. Dass im Betrieb die Auswahl der Bretter, der Transport und der Zuschnitt computergesteuert erfolgten, bekommt er nicht mit. Er wundert sich höchstens, warum sein Schreiner preislich mit industriellen Angeboten mithalten kann, obwohl seine Produkte individueller und von bester Qualität sind. Die Ansprüche an den Handwer kernachwuchs werden immer höher. Wie zufrieden sind Sie mit der Leistung der Auszubildenden? Wollseifer: Unsere Ansprüche ändern sich nicht. Wer ordentlich rechnen, schreiben und lesen kann, motiviert ist und teamfähig, der wird in der Ausbildung seinen Weg machen. Eine zentrale Herausforderung ist es, genügend junge Leute fürs Handwerk zu gewinnen. Was können Sie tun, damit das gelingt? Wollseifer: In der Tat, die Zahl der Schulabgänger geht zurück. Dazu kommt, dass die Hälfte der Schüler Abitur macht und auf die Universität geht. Das ist für viele nicht der richtige Weg. Für diese eher praktisch orientierten jungen Leute bieten wir duale Ausbildung und Karriereziele im Handwerk als Alternative an. Die Umsteiger sind die beste Werbung für die Feststellung, dass berufliche und akademische Bildung gleichwertig sind.Stimmen Bezahlung und Zukunftschancen im Handwerk? Wollseifer: Dass die Bezahlung stimmt, erkennen Sie daran, dass im Handwerk der gesetzliche Mindestlohn kaum ein Thema ist. Unsere Handwerksbetriebe profitieren vom starken Binnenmarkt, sie gewinnen als Zulieferer durch den starken Export, sie sind unverzichtbar beim Umbau der Energieversorgung - Handwerk bietet jede Menge Chancen. Wie sehen Sie die Zukunft des Handwerks? Wollseifer: Das Handwerk ist als Teil der Wertschöpfungsketten wichtiger Akteur bei der Digitalisierung der Wirtschaft, Stichwort Wirtschaft 4.0. Diese Herausforderung können wir nur stemmen, wenn wir über die duale Ausbildung weiterhin fachlich kompetente Frauen und Männer zum Gesellenbrief und am besten weiter zum Meisterbrief führen. Wir sind daher sehr dankbar, dass sich der Deutsche Bundestag für unser Ausbildungssystem ausgesprochen hat und gegen eine von Brüssel gerittene Attacke gegen den Meisterbrief. Welche Bedeutung hat das Handwerk in der Region Trier für die Region? Wollseifer: Handwerk fühlt sich immer noch wohl im Schatten des Kirchturms, auch wenn seine Produkte und Dienstleistungen oft in alle Welt verkauft werden. Wer sonst bietet heute noch bis in kleine Gemeinden hinein Ausbildung und Arbeit, aber auch die wichtige Nahversorgung? Wer arbeitet in Gemeinderat und Vereinsvorstand mit, hilft der Freiwilligen Feuerwehr und dem THW? Auch für die Region um Trier ist das Handwerk daher unverzichtbar. Die Fragen stellte TV-Redakteur Heribert Waschbüsch.Extra

Das Jahr 1514 ist das Jahr der Handwerksorganisation in Trier. Damals haben 13 Zünfte und sieben Bruderschaften in einer Schwureinigung erklärt, "nicht voneinander zu weichen, sondern hartnäckig und ungeteilt beieinander zu bleiben". Heute bekräftigen 29 Innungen der Stadt Trier, des Landkreises Trier-Saarburg und der Region Trier diese Erklärung. Die Handwerkskammer Trier und die Kreishandwerkerschaft Trier-Saarburg feiern die 500 Jahre Schwureinigung mit einem Festakt. Festredner ist der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer. Der ökumenische Gottesdienst in der traditionellen Innungskirche St. Gangolf ab 14.30 Uhr ist für alle Interessierten öffentlich. hw Extra

Hans Peter Wollseifer, 1955 in Hürth geboren, ist seit 2010 Präsident der Handwerkskammer Köln und seit 2014 Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Mit 21 Jahren übernahm der Maler- und Lackierermeister den elterlichen Betrieb mit drei Mitarbeitern. Nach großer Expansion hatte das Unternehmen 100 Mitarbeiter, er gründete weitere Firmen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. hw Extra

Diese 13 Zünfte und sieben Bruderschaften haben die Schwureinigung unterzeichnet: Zünfte: Weber, Bäcker, Metzger, Gerber und Schuster, Pelzer, Krämer, Schneider, Fassbinder, Schmiede, Dachdecker, Zimmerleute, Schiffer und Steinmetzen. Bruderschaften: Leinenweber, Bartscherer, Weinknechte, Köche, Sackträger, Weinschröter, Weingärtner. hw

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