Der Jugendwahn rächt sich

TRIER. Auf dem Arbeitsmarkt ist es wie bei den Renten: Es gibt immer mehr Alte und immer weniger Junge. Und die Politik gibt sich hilflos. Sie fördert Vorruhestand und Altersteilzeit und fordert längere Lebensarbeitszeiten.

Ein Chef und ein Meister sind in einem Produktionsunternehmen in Ruhestand gegangen. Plötzlich stellt man fest, dass niemand in der Lage ist, die Maschine zu bedienen. Kein Einzelfall. "In vielen Betrieben wird noch immer Erfahrung und informelles Wissen unterschätzt", kritisiert die Aachener Arbeitswissenschaftlerin Marie-Christine Stemann. Die Folge: Ein Fachkräftemangel droht und zwar in allen Branchen: "Beamte, Banken, Produktionsunternehmen, Hochschulen", prophezeit die Expertin. Doch trotz dieser drohenden Misere, setzt nur äußerst langsam ein Umdenken in den Betrieben ein: "Selbst bei Vollbeschäftigung wäre es in Deutschland angesichts der ausgeprägten Frühpensionierungs-Mentalität denkbar, dass man bei Fachkräfteknappheit eher auf Einwanderung als auf Erhöhung der Beschäftigungsquote Älterer setzt", stellt der Vizepräsident des Gelsenkirchener Instituts Arbeit und Technik (IAT), Gerhard Bosch, fest. Der demografische Faktor sorgt nicht nur dafür dass Renten- und Krankenkassen irgendwann leer sein werden. Auch der Arbeitsmarkt leidet unter dem Geburtenrückgang. Immer mehr Alte, immer weniger Junge. Und die älteren, über 55-Jährigen, werden mit großzügigen Vorruhestandsregelungen aus den Unternehmen getrieben, um den Jungen Platz zu machen. Doch die erhofften Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind ausgeblieben. Das musste auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände ernüchternd feststellen. IAT-Vize Bosch weist daher auf einen Widerspruch der Politik hin: "Zum einen wird die Verlängerung der Lebensarbeitszeit angestrebt, gleichzeitig allerdings auch die Altersteilzeit gefördert, die nichts anderes als ein vorgezogener Ruhestand ist." Und das kostet. Allein 2001 bezahlte die Rentenversicherung für Ruheständler unter 65 Jahren 26,5 Milliarden Euro - das waren knapp 20 Prozent aller Rentenausgaben. Und für über eine Million Arbeitslose über 50 Jahre wurden 2001 insgesamt elf Milliarden Euro aus der Arbeitslosenkasse bezahlt. Macht zusammen knapp 37 Milliarden Euro aus dem Sozialsystem für die Frührentner. Kosten für ältere Mitarbeiter steigen

"So kann es nicht mehr weiter gehen", sagen Arbeitgeber und Experten. Für Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt steht fest: "Wir können nicht länger tatenlos zusehen." Mit knapp 37 Prozent älteren Arbeitnehmern zwischen 55 und 64 Jahren hinkt Deutschland im internationalen Vergleich deutlich hinterher. Der Schnitt liegt bei 48,6 Prozent. Dänemark schafft es auf 53,6, die USA auf 54 und der Spitzenreiter ist die Schweiz mit 63,1 Prozent älteren Arbeitnehmern. Nun erhofft man sich in Deutschland eine Wende durch die Änderungen der Arbeitsmarktpolitik. Die Unternehmer glauben, dass durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie der Begrenzung der Höchstbezugsdauer der Arbeitslosen-Unterstützung der Anreiz größer wird, wieder arbeiten zu gehen. Und wie so häufig, wenn es darum geht, neue Arbeitsplätze zu schaffen, sehen die Arbeitgeber in den starren Tarifverträgen den Haupt-Hinderungsgrund für das Einstellen Älterer. Weg vom so genannten Senioritätsprinzip, also die höhere Entlohnung und Kündigungsschutz älterer Mitarbeiter aufgrund ihrer Arbeitsjahre, fordern die Chefs. Das sei eine Beschäftigungsbremse. "Unabhängig von Leistung und Produktivität steigen die Kosten für ältere Mitarbeiter. Damit besteht die Gefahr, dass eine Lücke zwischen Produktivität und dem Entgelt klafft", heißt es in bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. Die Unternehmer fordern daher, Erfolg und Leistung stärker in den Tarifverträgen zu berücksichtigen. Und außerdem müsse die Arbeitszeit flexibler gestaltet werden. Denn, so die Arbeitgeber: "Es zeigt sich, dass ältere Arbeitnehmer häufig weniger arbeiten wollen als jüngere und dafür auch bereit sind, entsprechend auf Einkommen zu verzichten." Ohne die Alten, davon sind Experten und Unternehmer überzeugt, wird es keinen dauerhaften Aufschwung in Deutschland geben.

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