Der Kanzler und die Arbeitslosen

Berlin . Gestern flatterten aus Nürnberg die neuesten Erwerbslosenzahlen auf den Tisch: Die Bundesanstalt für Arbeit verzeichnete im August einen leichten Rückgang im Vergleich zum Juli um 37 750 auf 4,31 Millionen.

Die politische Sicht der Dinge ist meist so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Die neuen Arbeitslosenzahlen lassen Klaus Brandner, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, jubilieren: "Das Gerede von den fünf Millionen Arbeitslosen im Winter bleibt ein Gespenst", lautete sein Fazit. Die pessimistischen Vorankündigungen seien eindeutig widerlegt.Brüderle: "Tragödie ohne Ende"

Ganz anders die Bewertung von Rainer Brüderle, stellvertretender Partei- und Fraktionsvorsitzender der FDP: "Die Tragödie am Arbeitsmarkt nimmt kein Ende", kommentierte der Liberale. Mache die Bundesregierung so weiter, "treibt sie im Winter die Arbeitslosigkeit auf neue Rekordhöhen". Alles eine Frage des Standpunkts eben.Wer am Ende Recht haben wird, ist noch ungewiss, darüber streiten sich nämlich die Gelehrten.Sicher ist derzeit wohl nur, "dass die Konjunktur langsam wieder Fahrt aufnimmt", so Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD). Er kann das deswegen sagen, weil auch BDI-Chef Michael Rogowski inzwischen daran glaubt und der Minister zudem Rückendeckung vom Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) erhält: Es erwartet "einen verhaltenen Aufschwung über den Winter".Bei Clement gilt das Prinzip Hoffnung; positiv mit "Zeitverzug von einigen Monaten", sagt er vorsichtig. Anders klingt hingegen das, was Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn glaubt: Bis weit in das nächste Jahr werde die Arbeitslosigkeit saisonal bereinigt noch steigen - das heißt, die konjunkturelle Belebung würde am Arbeitsmarkt kaum Spuren hinterlassen. Was bleibt? Wohl nichts anderes als abzuwarten. Ob nun am Ende Brandners Gespenst oder Brüderles Tragödie zum Zuge kommen wird, eines steht fest: Von ihrem Kurs wird die Bundesregierung nicht abweichen. "Wir werden nur dann zu einem deutlichen und anhaltenden Rückgang der Arbeitslosenzahlen kommen, wenn der von uns eingeleitete Reformkurs konsequent fortgesetzt und nicht aufgehalten wird", gibt Clement die Order aus. "Nicht aufgehalten wird" - das ist zweifellos nicht nur an die möglichen Bremser in den eigenen Reihen gerichtet, sondern auch an die, die sich am Montag mit Gerhard Schröder treffen werden - die murrenden Gewerkschaftsbosse. Mit dem Kanzler will man über die geplanten Reformen des Arbeitsmarktes und der Sozialsysteme reden. Nach wochenlanger Funkstille hatte man im Juni die Wiederaufnahme von "Arbeitstreffen" vereinbart.Die Rollenverteilung dürfte bei dem Gespräch am Montag allerdings auf der Hand liegen: Gewinner Schröder darf sich genüßlich zurücklehnen, die Funktionäre müssen sich ran robben. KOMMENTAR SEITE 2

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