Der alltägliche Milliarden-Betrug

BERLIN. Durch dubiose Tricks bei der Umsatzsteuer entgehen Bund und Ländern jährlich Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe. Zu diesem Schluss kommt der Bundesrechnungshof in einem alarmierenden Bericht.

Das Dokument, das gestern in Berlin veröffentlicht wurde, ist auch eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung. Denn die obersten Finanzkontrolleure halten es für "dringend geboten, die offenkundigen Gesetzeslücken zu schließen" und die allgemeinen Überprüfungen zu verstärken. Der enorme Verlust für den Fiskus entsteht zum einen durch nicht abgeführte Umsatzsteuerbeträge und zum andern durch zu Unrecht vergütete Vorsteuerbeträge. Das Betrugspotenzial beläuft sich auf 553 Milliarden beziehungsweise 446 Milliarden Euro. Eine Größenordnung, die den Bundhaushalt etwa um das Doppelte übertrifft. Karussellbetrug häufigste Form

Ganz oben auf der Liste der "kreativen" Steuervermeidung steht der so genannte Karussellbetrug. Hier werden Waren von einem deutschen Betrieb über zahlreiche Vertragspartner und Scheinfirmen in anderen EU-Ländern wieder an die eigene Adresse zurück geliefert. Das Kalkül: Die Scheinfirmen führen die von ihren Abnehmern erhaltene Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt ab und verschwinden wieder vom Markt. Die einbehaltene Umsatzststeuer kann aber auch dazu dienen, den Warenpreis zu drücken, um sich einen unlauteren Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Auf diese Weise gehen den öffentlichen Kassen jährlich rund zwölf Milliarden Euro verloren. Zwar hat die Regierung vor zwei Jahren mit Gegenmaßnahmen reagiert. Doch die Bestimmungen erweisen sich nach Einschätzung des Bundesrechnungshofs weitgehend als zahnloser Tiger. Beispielsweise haftet ein Unternehmer nur, wenn er bei Vertragsabschluss Kenntnis über den geplanten Umsatzsteuerbetrug hatte. Laut Rechnungshof wurde dadurch aber noch kein einziger Betrieb belangt, denn eine solche Kenntnis ist praktisch nicht nachweisbar. Daher schlagen die Experten vor, dass sich ein Unternehmer schon für die betrügerischen Praktiken verantworten muss, wenn ihm die Waren unter mysteriösen Umständen zu Dumpingpreisen angeboten wurden. Eine andere beliebte Methode zur "Steuererleichterung" ist der Kettenbetrug im Baugewerbe. Dadurch gehen dem Fiskus jährlich etwa 64 Milliarden Euro durch die Lappen. Ähnlich wie beim Karussellbetrug schaltet auch der Bauunternehmer eine Fülle von Betrieben und Subunternehmen ein, um den tatsächlichen Umfang der Steuerschuld zu verschleiern. Die im Vorjahr eingeführte Bauabzugssteuer sollte dieser Praxis einen Riegel vorschieben. Weil die Finanzämter aber in 95 Prozent aller Fälle eine Freistellung von der Pflicht zum Steuerabzug erteilen, ist die Maßnahme wirkungslos. Der Grund für die Großzügigkeit liegt im vergleichsweise hohen Verwaltungsaufwand der Behörden. Mangelnde Baustellenkontrollen erschweren dem Fiskus zusätzlich das Geschäft. Der Bundesrechnungshof mahnt indes die Prüfung einer steuerlichen Generalunternehmerhaftung beim Finanzministerium an. Außerdem müssten die Freistellungsaufträge restriktiver gehandhabt werden. Findige Unternehmen halten sich darüber hinaus mit Grundstücksgeschäften und "bewusst geplanten Insolvenzen" schadlos. So sei es durchaus üblich, dass Betriebe als letzten Akt ihrer Tätigkeit den Vorsteuerabzug geltend machten, auch wenn sie die Rechnung einschließlich Umsatzsteuer nicht mehr zahlen könnten. Fazit von Rechnungs-Hof Präsident Dieter Engels: Die Methoden seien "Besorgnis erregend". Bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung genau so schnell mit Gegenmaßnahmen reagiert wie im Fall "Florida-Rolf", der als "Sozial-Abzocker" durch die bundesdeutschen Boulevard-Blätter gejagt wurde.

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