"Die Agenda 2010 ist keine heilige Kuh"

Trier · Jahresempfang des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Trier.

Trier Das Superwahljahr mit drei Landtagswahlen und der Bundestagswahl hat den Rednern beim Frühjahrsempfang des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in der Region Trier Gelegenheit geboten, sich zu positionieren. James Marsh fand bei seiner Premiere als DGB-Chef klare Worte: "Die Basis unserer Gesellschaft ist, dass die Würde jedes einzelnen Menschen unantastbar ist." Und die Würde beschränke sich nicht nur auf ein Existenzrecht, sondern auch auf das Recht auf Arbeit, ein freies Leben, Religionsfreiheit, die Freiheit von Kunst, Kultur und Presse. "Und es schließt alle Menschen ein, auch die, die aus Angst und Not und Verfolgung zu uns gekommen sind", so Marsh. Für die Gewerkschaften ist die soziale Marktwirtschaft der Kitt für eine funktionierende, freiheitliche Gesellschaft. "Martin Winterkorn (Ex-VW-Chef) bekommt 3100 Rente. Wohlgemerkt 3100 Euro am Tag", kritisiert der DGB-Chef. Auf der anderen Seite seien immer mehr Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet hätten, von Altersarmut bedroht. Marsh fordert: "Die Rente muss für ein gutes Leben reichen." Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), sieht ebenfalls in vielen Bereichen Korrekturbedarf: "Die Agenda 2010 ist keine heilige Kuh, an der man nicht mehr rütteln darf." So warb sie für den SPD-Vorschlag, die Bezugsdauer für den Arbeitslosengeld zu erhöhen. "Wir können uns das leisten, und es ist gut für die Menschen." Sie dankte den Gewerkschaften, den Betriebsräten und Personalvertretungen für die gute Zusammenarbeit. "Gerade jetzt bei Opel oder auch am Flugplatz Hahn hat sich gezeigt, wie wichtig starke Arbeitnehmervertretungen sind." Doch nicht nur hier gebe es eine hervorragende Zusammenarbeit. "Ich bin sehr froh, dass die Gewerkschaften mit uns an der Seite für ein offenes, tolerantes Europa kämpfen, so wie beim Auftritt der rechten Populisten in Koblenz." Vor der Gefahr der Rechten warnte auch der neue Präsident des Internationalen Gewerkschaftsrats der Großregion (IGR), Jean-Claude Bernardini. Für den Luxemburger ist das weltweit soziale Ungleichgewicht ein Grund dafür, das die Populisten Zulauf erfahren. "Weltweit haben die acht reichsten Menschen so viel Vermögen wie die Hälfte der Erdbevölkerung, also rund 3,7 Milliarden Menschen", sagte Bernardini und forderte: "Wir müssen eine soziale Marktwirtschaft im freiheitlichen Sinne Europas definieren."
Die Einschätzung des IGR-Präsidenten unterstützte auch Festredner Wilhelm Adamy. Der ehemalige Leiter der Arbeitsmarktpolitik im DGB-Bundesvorstand sieht in den vergangenen Jahren viele Fehlentwicklungen: bei der Lohnpolitik, der Rente und der Investitionsbereitschaft der öffentlichen Hand. "Wir haben Wirtschaftswachstum, sogar Lohnsteigerungen, aber die Armut in unserem Land ist trotzdem gestiegen", bemängelte der gebürtige Trierer.
Die Politik sei gefragt, für mehr Beteiligung und Gerechtigkeit zu sorgen, damit Werte wie Freiheit und Toleranz von allen getragen würden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort