Die vierte Revolution

Von unserem Redakteur RAINER NOLDENTRIER. Malerei und Literatur kommen seit Jahrhunderten mit den gleichen Medien - Leinwand und Papier - aus. Die Musik hat in nur hundert Jahren sieben verschiedene Konservierungsmöglichkeiten, von der Walze über die Schallplatte bis zum Tonband, genutzt und zum größten Teil wieder entsorgt. Pappe, Schellack, Plastik und Metall - aus diesem Material waren und sind die Tonträger, die das flüchtige Erlebnis Musik zum ersten Mal ab dem Ende des 19. Jahrhunderts konservierten, demokratisierten und beliebig konsumierbar machten. Von Medium zu Medium wurden die Klänge dann perfekter, das Hörvergnügen größer, bis mit der Entwicklung der Compact Disc der Gipfel der Lauschgenüsse erreicht schien: perfekter Klang, so gut wie keine Verschleißerscheinungen. Natürlich blieb auch die CD von Kritik nicht verschont. Zu steril empfanden manche Puristen den Sound und kehrten zur totgesagten Vinylplatte zurück. Viele mochten sich auch nicht mit dem oft in kleinsten Lettern gedruckten CD-Booklets anfreunden, obwohl sie sehr viel mehr Informationen enthielten als die Rückseiten der alten 33-er Schallplattenhüllen. Jetzt droht der CD noch von anderer Seite Ungemach: Gerade dem Teenageralter entwachsen, könnte sie ihre beste Zeit schon hinter sich haben. Denn Musik braucht zur Konservierung keine festen Tonträger mehr. Die Klänge werden zu Informationen und als solche digital durchs Internet gejagt. Das ist - nach Walze, Schellack, Tonband, Vinyl, Kassette und CD - bereits die vierte Revolution, die die Musik-Industrie innerhalb eines Jahrhunderts zu bewältigen hat. Wobei sich der Markt der Käufer weiter auffächern wird. Die älteren Musik hörer werden der CD vermutlich die Treue halten; die nostalgischen Exzentriker oder exzentrischen Nostalgiker hüten und vermehren ihre Vinylsammlung. Klänge aus dem Internet einzufangen wird weitgehend den jugendlichen Surfern vorbehalten bleiben. Denn billiger ist die Musik aus den weiten des Raumes allemal, selbst wenn sie nicht geklaut wird. 99 Cent kosten die Songs im "iTunes"-Musikladen von Apple. Um ihre Klientel an sich zu binden oder zurückzugewinnen, sucht die darbende Branche nach neuen Absatzmöglichkeiten. Vorreiter ist die Bertelsmann Music Group (BMG). Dort gibt es jetzt CDs im Dreiklassensystem: 9,99 Euro ko-stet die Schlichtversion ohneBooklet und Cover - laut Maarten Steinkamp, Europa-Chef des Musikriesen Sony BMG, "unsere Anti-Piraterie-CD". Für 12,99 Euro gibt es ein Heftchen mit Informationen zu den Interpreten. Die Luxusausgabe für 17,99 Euro enthält DVD-Zugaben und andere Extras. Sollte dieses Drei-Klassen-System allerdings floppen, hat nicht nur BMG, sondern die gesamte Branche ein Problem: Es wäre die Abwendung des Kunden vom Produkt, das er sich anderweitig immer noch billiger besorgen, im schlimmsten Fall klauen kann. Womit ein weiterer Aspekt ins Spiel kommt: Wieviel ist Musik eigentlich wert? Konkreter gefragt: Wieviel ist die Musik dem Endverbraucher wert? Als die ersten Langspielplatten in den 50er Jahren auf den Markt kamen, forderte das gelbe Edel-Label "Deutsche Grammophon" für seine hochwertigen Klassiker-Aufnahmen 25 Mark pro Album - ein stolzer Preis angesichts damaliger Durchschnittslöhne von 600 Mark. Dreißig Jahre später waren die CDs mit Preisen bis zu 40 Mark zwar ebenfalls konkurrenzlos teuer, aber eine Zeitlang konnte dies mit Hinweis auf die bis dato unerreichte Wiedergabequalität begründet werden. Natürlich gab es in internetgrauer Vorzeit schon die Möglichkeit, seine Musiksammlung bei Freunden zusammenzuschnorren. Tonbandgeräte und Kassettenrecorder waren unermüdlich im Einsatz, um die neuesten Beatles-, Stones- oder Dylan-Scheiben zigfach zu überspielen. Doch ein kleiner Stachel blieb: Die Originalhüllen, manche von ihnen kleine Kunstwerke, waren nicht zu vervielfältigen. Für manchen wahren Musikliebhaber, egal ob E oder U, gehörte die Verpackung aber zum vollkommenen Genuss dazu. Und so geschah es häufig, dass man sich trotz Tonbandaufnahme das Original beim nächsten Besuch im Plattenladen kaufte, in dem seinerzeit, auch dies ein nicht zu unterschätzender Punkt im Musikgeschäft, Verkäufer arbeiteten, die Ahnung von Musik hatten - das letzte, aber sehr wichtige Glied in der Musikvermarktungs-Kette. Solche Verkäufer sind heute ebenso rar wie die Musik ständig und überall verfüg- und verbreitbar ist. Was andererseits Musiker, die nicht im Mainstream schwimmen, durchaus begrüßen dürften. Ihnen bietet das Internet eine Plattform, ihre Werke unters Volks zu bringen - vorbei an den etablierten Plattenfirmen, die gar nicht mehr gern in Newcomer investieren. Bleibt denen nur die Hoffnung, dass sie auch gehört werden im Meer des Mainstream - denn unter den eingangs erwähnten drei Milliarden Downloads täglich dürften kaum Raritäten und Nischenprodukte zu finden sein. Da sind dann doch wieder die LP- und CD-Produzenten gefragt. Bei der Suche etwa nach kubanischer Klaviermusik des 19. Jahrhunderts, Bayreuth-Mitschnitten aus den 50er Jahren, einem Cole-Porter-Musical in der originalen Broadwaybesetzung oder Liedern von Kathleen Ferrier dürfte eher die Maus den Geist aufgeben, als dass man in den Weiten des Netzes fündig wird. MP3 fürs weltweit Nivellierte, LP und CD fürs Originelle - vielleicht könnte die Arbeitsteilung auf dem Musikmarkt auf diese Weise funktionieren.

Pappe, Schellack, Plastik und Metall - aus diesem Material waren und sind die Tonträger, die das flüchtige Erlebnis Musik zum ersten Mal ab dem Ende des 19. Jahrhunderts konservierten, demokratisierten und beliebig konsumierbar machten. Von Medium zu Medium wurden die Klänge dann perfekter, das Hörvergnügen größer, bis mit der Entwicklung der Compact Disc der Gipfel der Lauschgenüsse erreicht schien: perfekter Klang, so gut wie keine Verschleißerscheinungen. Natürlich blieb auch die CD von Kritik nicht verschont. Zu steril empfanden manche Puristen den Sound und kehrten zur totgesagten Vinylplatte zurück. Viele mochten sich auch nicht mit dem oft in kleinsten Lettern gedruckten CD-Booklets anfreunden, obwohl sie sehr viel mehr Informationen enthielten als die Rückseiten der alten 33-er Schallplattenhüllen. Jetzt droht der CD noch von anderer Seite Ungemach: Gerade dem Teenageralter entwachsen, könnte sie ihre beste Zeit schon hinter sich haben. Denn Musik braucht zur Konservierung keine festen Tonträger mehr. Die Klänge werden zu Informationen und als solche digital durchs Internet gejagt. Das ist - nach Walze, Schellack, Tonband, Vinyl, Kassette und CD - bereits die vierte Revolution, die die Musik-Industrie innerhalb eines Jahrhunderts zu bewältigen hat. Wobei sich der Markt der Käufer weiter auffächern wird. Die älteren Musik hörer werden der CD vermutlich die Treue halten; die nostalgischen Exzentriker oder exzentrischen Nostalgiker hüten und vermehren ihre Vinylsammlung. Klänge aus dem Internet einzufangen wird weitgehend den jugendlichen Surfern vorbehalten bleiben. Denn billiger ist die Musik aus den weiten des Raumes allemal, selbst wenn sie nicht geklaut wird. 99 Cent kosten die Songs im "iTunes"-Musikladen von Apple. Um ihre Klientel an sich zu binden oder zurückzugewinnen, sucht die darbende Branche nach neuen Absatzmöglichkeiten. Vorreiter ist die Bertelsmann Music Group (BMG). Dort gibt es jetzt CDs im Dreiklassensystem: 9,99 Euro ko-stet die Schlichtversion ohneBooklet und Cover - laut Maarten Steinkamp, Europa-Chef des Musikriesen Sony BMG, "unsere Anti-Piraterie-CD". Für 12,99 Euro gibt es ein Heftchen mit Informationen zu den Interpreten. Die Luxusausgabe für 17,99 Euro enthält DVD-Zugaben und andere Extras. Sollte dieses Drei-Klassen-System allerdings floppen, hat nicht nur BMG, sondern die gesamte Branche ein Problem: Es wäre die Abwendung des Kunden vom Produkt, das er sich anderweitig immer noch billiger besorgen, im schlimmsten Fall klauen kann. Womit ein weiterer Aspekt ins Spiel kommt: Wieviel ist Musik eigentlich wert? Konkreter gefragt: Wieviel ist die Musik dem Endverbraucher wert? Als die ersten Langspielplatten in den 50er Jahren auf den Markt kamen, forderte das gelbe Edel-Label "Deutsche Grammophon" für seine hochwertigen Klassiker-Aufnahmen 25 Mark pro Album - ein stolzer Preis angesichts damaliger Durchschnittslöhne von 600 Mark. Dreißig Jahre später waren die CDs mit Preisen bis zu 40 Mark zwar ebenfalls konkurrenzlos teuer, aber eine Zeitlang konnte dies mit Hinweis auf die bis dato unerreichte Wiedergabequalität begründet werden. Natürlich gab es in internetgrauer Vorzeit schon die Möglichkeit, seine Musiksammlung bei Freunden zusammenzuschnorren. Tonbandgeräte und Kassettenrecorder waren unermüdlich im Einsatz, um die neuesten Beatles-, Stones- oder Dylan-Scheiben zigfach zu überspielen. Doch ein kleiner Stachel blieb: Die Originalhüllen, manche von ihnen kleine Kunstwerke, waren nicht zu vervielfältigen. Für manchen wahren Musikliebhaber, egal ob E oder U, gehörte die Verpackung aber zum vollkommenen Genuss dazu. Und so geschah es häufig, dass man sich trotz Tonbandaufnahme das Original beim nächsten Besuch im Plattenladen kaufte, in dem seinerzeit, auch dies ein nicht zu unterschätzender Punkt im Musikgeschäft, Verkäufer arbeiteten, die Ahnung von Musik hatten - das letzte, aber sehr wichtige Glied in der Musikvermarktungs-Kette. Solche Verkäufer sind heute ebenso rar wie die Musik ständig und überall verfüg- und verbreitbar ist. Was andererseits Musiker, die nicht im Mainstream schwimmen, durchaus begrüßen dürften. Ihnen bietet das Internet eine Plattform, ihre Werke unters Volks zu bringen - vorbei an den etablierten Plattenfirmen, die gar nicht mehr gern in Newcomer investieren. Bleibt denen nur die Hoffnung, dass sie auch gehört werden im Meer des Mainstream - denn unter den eingangs erwähnten drei Milliarden Downloads täglich dürften kaum Raritäten und Nischenprodukte zu finden sein. Da sind dann doch wieder die LP- und CD-Produzenten gefragt. Bei der Suche etwa nach kubanischer Klaviermusik des 19. Jahrhunderts, Bayreuth-Mitschnitten aus den 50er Jahren, einem Cole-Porter-Musical in der originalen Broadwaybesetzung oder Liedern von Kathleen Ferrier dürfte eher die Maus den Geist aufgeben, als dass man in den Weiten des Netzes fündig wird. MP3 fürs weltweit Nivellierte, LP und CD fürs Originelle - vielleicht könnte die Arbeitsteilung auf dem Musikmarkt auf diese Weise funktionieren.

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