Ein Stück aus dem Tollhaus

Berlin. Wenn der Bundesrat heute zu seiner 803. Sitzung zusammen kommt, um 111 (!) Tagesordnungspunkte zu beraten, trifft er eine alte Bekannte wieder: Die Verpackungsverordnung. Im wesentlichen geht es dabei um das Dosenpfand, das seit nunmehr 13 Jahren die Gemüter erregt - und immer noch nicht abschließend entschieden ist.

Auch heute werden sich, wenn nicht alles täuscht, die Ministerpräsidenten vor einer Entscheidung drücken und die insgesamt vier Anträge zum Thema (von Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein) abermals an die Ausschüsse überweisen. Das Stück aus dem Tollhaus würde damit seine unrühmliche Fortsetzung nehmen. Wer sich über das Dosenpfand ärgert und das Durcheinander nicht versteht, ist vor allem bei CDU und CSU an der richtigen Adresse. Zwar war es der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer, der die Verpackungsverordnung 1991 auf den Weg brachte, und war es seine Nachfolgerin Angela Merkel, die 1998 die erste Änderung durchsetzte (Zwangspfand für Einweg-Verpackungen, wenn die Mehrweg-Quote unter 72 Prozent fällt). Doch seit dem Regierungswechsel und der rot-grünen Verpackungsnovelle des Ministers Jürgen Trittin 2003 (Pflichtpfand auf alle Getränkedosen und Einwegflaschen mit Bier, Mineralwasser und kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke) läuft die Opposition Sturm gegen eine Regelung, die "nichts als Chaos" produziert (FDP-Umweltexpertin Birgit Homburger). Tatsächlich blickt bei der hoch komplizierten Verpackungsverordnung keiner mehr durch. Allerdings tragen an diesem unerfreulichen Zustand alle Beteiligten eine Mitschuld: Regierung, Opposition, Bundesländer, Getränke- und Verpackungsindustrie, Einzelhandel, Interessenverbände. Vor der Sommerpause hat das Land Bayern, "ermuntert" von seiner mittelständischen Brauwirtschaft, einen Kompromissantrag eingebracht, den sogar der grüne Umweltminister Trittin als "konstruktiven Vorschlag" würdigte. Bayern wollte die Pfandpflicht auf Massengetränke beschränken (Bier, Mineralwasser, Alkopops, Erfrischungsgetränke) und dafür einheitlich 25 Cent veranschlagen. Wein, Fruchtsäfte, Spirituosen, Mischgetränke, Milch und Diät-Getränke wären demnach pfandfrei geblieben - doch spielten andere Unionsländer unter Führung Hessens nicht mit. Hessen hat einen eigenen Antrag eingebracht, der die Zahlung einer Abgabe (Einwegzuschlag plus Lizenzentgeld für das Duale System) vorsieht, wenn eine bestimmte Mehrweg- oder Rücklaufquote unterschritten wird. Davon wollen wiederum die meisten anderen Bundesländer nichts wissen. Außerdem drängten Lobbyisten im Hintergrund, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) abzuwarten, der darüber entscheiden muss, ob ausländische Mineralwässer bei der Ermittlung der Mehrweganteile mitgezählt werden dürfen oder nicht. Opposition und Wirtschaft hoffen auf eine Ausnahmeregelung für ausländische Produkte, was als Niederlage für Trittin interpretiert werden könnte - und politisch ausschlachtbar wäre. Apropos Parteipolitik: Starke Kräfte in der Union drängen darauf, die Entscheidung im Bundesrat heute auf jeden Fall erneut zu verschieben, schon wegen der Kommunalwahlen am Sonntag in Nordrhein-Westfalen. Nun darf man getrost fragen, was eine Wahl von Kreis- und Stadträten mit dem Dosenpfand zu tun hat: nichts natürlich. Dennoch, da die Psychologie eine gewichtige Rolle in der Politik spielt, und die Schwarz-Gelben den Rot-Grünen keinen Erfolg gönnen (die Verabschiedung des Bayern-Antrages wäre ein solcher), werden heute wohl die üblichen Mechanismen greifen: Vor der Bundesratssitzung treffen sich die Ministerpräsidenten der Union zur Mauschelrunde bei der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel, die dann mit sorgenvoller Miene davor warnen wird, die Dosenpfand-Entscheidung "voreilig" zu fällen. Merkel wird dabei unterstützt vom Parlamentarischen Geschäftsführer Volker Kauder, der auf das EuGH-Urteil verweisen wird. Wann dies kommt, weiß zwar niemand so genau, aber das macht ja nichts. Hauptsache, man kann weiter auf den Ökominister Trittin drauf hauen, dem die Liberale Homburger jetzt zusätzlich "Erpressung" vorwirft. Grund: Weil die Mehrwegquote auch bei Säften und anderen Getränken ohne Kohlesäure unterschritten wurde, hat das Bundeskabinett am Mittwoch die Pfandpflicht auch auf diese Waren ausgedehnt. Allerdings tritt sie erst nach sechs Monaten in Kraft. Unwirksam könnte diese Pfandpflicht nur werden, wenn der bayerische Antrag, der Säfte und Wein ausdrücklich befreit, endlich verabschiedet würde. Die nächste Gelegenheit dazu besteht auf der 804. Sitzung des Bundesrates am 15. Oktober.

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