Erzieher im Arbeitskampf: Mit über 93 Prozent Zustimmung treten erste Kitas am Freitag in den Ausstand

Trier/Wittlich · Nach der großen Zustimmung der Erzieher und Sozialarbeiter für einen unbefristeten Streik treten von Freitag an die ersten Kitas in den Ausstand. Die Region Trier bleibt vorerst außen vor. Allerdings wird ein landesweiter Streiktag ausgerufen.

Trier/Wittlich. Zweieinhalb Stellen kann Erni Schaaf-Peitz derzeit in der Kindertagesstätte Wittlich-Neuerburg nicht besetzen. Nicht viel, könnte man meinen. Doch das sind zehn Prozent der Stellen in der Kindertagesstätte Wittlich-Neuerburg: Seit Wochen müssen die übrigen Fachkräfte die Lücken mit ausfüllen. Schließlich kommen täglich über hundert Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren in die Kita.
So wie Schaaf-Peitz geht es vielen Kita-Leitungen. Denn landesweit können laut Schätzungen derzeit rund 1000 Erzieher-Stellen nicht besetzt werden. Die Ansprüche an die Erzieher und ihre Aufgaben sind größer geworden, die Bezahlung hinkt dem jedoch hinterher. "Früher ging nur ein Teil eines Jahrgangs in den Kindergarten, heute gibt es einen Rechtsanspruch, die meisten Kinder werden ganztags betreut, es besteht ein Auftrag für Erziehung und Bildung", sagt die langjährige Kitaleiterin, die sich auch in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) engagiert. "Ich bin eine überzeugte Erzieherin und verstehe mich im Dienst für die Kinder und ihre Familien", sagt sie. Aber unter den jetzigen Bedingungen könne kaum eine Kollegin bis zum Rentenalter arbeiten. "Viele Kitas verwalten einen Mangel, die Leitungen stehen mit dem Rücken zur Wand", sagt sie.Landesweit 150 Kitas im Streik


Diese Einschätzung der Lage bestätigt das Ergebnis der Urabstimmung unter den bundesweit 240 000 Erziehern und Sozialarbeitern. 93,4 Prozent der Verdi-Mitglieder, gar mehr als 96 Prozent bei der GEW und dem DBB (Deutschen Beamtenbund) votierten in den vergangenen Tagen für unbefristete Streiks, wurde gestern mitgeteilt. Nach fünf Runden hatten die Gewerkschaften die Tarifverhandlungen für gescheitert erklärt. Ihre Forderung für eine finanzielle Aufwertung ihrer Arbeit im Rahmen von geschätzt 1,2 Milliarden Euro hatte die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) als "völlig überzogen" kritisiert.
Die Streiks werden demnach am Freitag bundesweit beginnen. In Rheinland-Pfalz beginnen die Ausstände am Freitag nach GEW-Angaben zunächst in 150 Kitas mit 2000 Erziehern von Rheinhessen mit der Stadt Mainz, der Pfalz, dem Raum Koblenz und dem Saarland. Die Kommunen selbst sind bemüht, entweder über eine Notbetreuung wie in Wittlich in zwei von vier städtischen Einrichtungen oder über eine Notdienstvereinbarung wie zwischen der Stadt Mainz und den Gewerkschaften einen Teil der Kinder aufzufangen.
Die Region Trier bleibt zunächst bei den Streiks außen vor, sagt Ingo Klein für die GEW Region Trier. "Wenn die Arbeitgeber nicht reagieren, werden wir weitere Einrichtungen in den Streik miteinbeziehen", kündigt Verdi-Fachbereichsleiter Volker Euskirchen jedoch deutlich an.
Zusätzlich wird für Dienstag, 12. Mai, ein landesweiter Streiktag ausgerufen, von dem auch die Region Trier betroffen sein wird. "Für 9.30 Uhr haben wir auf dem Trierer Kornmarkt eine Kundgebung beantragt", sagt Klein und hofft auf rege Beteiligung.
"Wir Erzieher sind duldsam", sagt Kita-Leiterin Schaaf-Peitz. Mit Verweis auf die Anwerbung spanischer Erzieher in der Landeshauptstadt Mainz stellt sie allerdings klar: "Ohne eine finanzielle Anerkennung der Erzieherarbeit werden wir künftig kein Personal mehr haben, um die Bildung der Kinder zu stemmen."
Meinung

Bildung gibt\\'s nicht zum Nulltarif
Wenn die Erzieher zum Ende der Woche in einen unbefristeten Streik zur Durchsetzung ihrer Forderungen treten, dann nervt dies die betroffenen Eltern. Und dennoch wird die Sympathie für die Kita-Streiks größer sein als die für Lokführer. Schließlich geht es nicht allein um die Summe von 1,2 Milliarden Euro, die die Kommunen jährlich zusätzlich ausgeben müssten; denn genau dafür treten die Gewerkschaften mit ihrer Forderung für die Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes ein. Und es geht auch nicht darum, ob die lieben Kleinen genug Zeit zum Basteln oder freien Spielen haben. Es geht um mehr. Es geht um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die drängt: Die Politik will eine höhere Beschäftigungsquote bei Frauen, die Wirtschaft braucht mehr Fachkräfte für den Standort Deutschland, die Gesellschaft erwartet frühestmögliche Förderung und Bildung des Nachwuchses. Und gleichzeitig soll das deutsche Rentenmodell aufrechterhalten werden. Dies alles ist nicht zum Nulltarif zu haben. Aber es sollte allen wert sein, dafür die notwendigen Mittel aufzubringen. Mitschuld für diese Misere trägt die Bundesregierung: Zwar hat sie den Anspruch auf Kinderbetreuung ausgebaut und Eltern wie Unternehmen längere Arbeitszeiten mit größeren Betreuungsoptionen schmackhaft gemacht. Gleichzeitig stoppen die finanziellen Engpässe viele Kommunen in der Umsetzung dieser Rechte. Mit größeren Gebäuden ist es für die Kinderbetreuung jedenfalls nicht getan. Es muss in Personal investiert werden. Und dies kostet. Umso wichtiger ist es, dass alle - und dazu gehören die Erzieher, die Träger der Kitas und die Unternehmen als Profiteure von Arbeitsflexibilität - lautstark darauf aufmerksam machen und dies einfordern. s.schwadorf@volksfreund.deExtra

Wenn Erzieher streiken, betrifft das nicht nur die Kinder und ihre Eltern, sondern in der Folge auch die Arbeitgeber der Eltern. Zwar gibt es für Beschäftigte laut dem Paragraf 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches den Anspruch auf Lohnfortzahlung, sofern sie ohne eigenes Verschulden durch ein unvorhergesehenes Ereignis am Arbeiten verhindert sind. Allerdings werden daran "hohe Anforderungen" gestellt. Darauf weist Sabine Plate-Betz, Geschäftsführerin der Vereinigung Trierer Unternehmer (VTU), hin. Sie vertritt 450 Unternehmen in der Region mit 50 000 Beschäftigten. Demnach muss der Arbeitnehmer "im Fall einer streikbedingten Schließung der Kita alles Zumutbare tun, um eine Ersatzkinderbetreuung zu erlangen", sagt sie. Das heiße auch, Nachbarkitas anzurufen und um Aufnahme zu bitten oder eine kostenpflichtige, private Betreuung zu besorgen. "Erst wenn sämtliche Bemühungen nachgewiesenermaßen erfolglos waren, kann der Beschäftigte unter Berufung auf Paragraf 616 der Arbeit fernbleiben", sagt die Juristin. Dies gelte vor allem, je früher ein Streik angekündigt sei und je länger dieser andauere. Und dies sei geschehen. So sei der Arbeitnehmer verpflichtet, Urlaub zu nehmen, Überstunden abzubauen oder unbezahlt freizumachen. Als Anlaufstelle für Eltern, Kitaleitungen und Streikwillige hat Verdi für den Landesbezirk Rheinland-Pfalz-Saarland eine Streikhotline geschaltet. Erreichbar ist diese unter Telefon 06131-9726222. Die Hotline soll von 7 bis 14 Uhr besetzt und bis zum Ende von Streiks verfügbar sein. sas

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